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Leuchtendes Land

Titel: Leuchtendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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mit einem englischen Lord gespeist hatte –, wäre ihr dies als Lüge ausgelegt worden. Schriebe sie hingegen, dass es kein Problem gewesen sei, diese schönen Zimmer im
Palace Hotel
zu buchen, würde man dies als Wahrheit akzeptieren.
    »Nun«, sagte Thora zu dem vor ihr liegenden Blatt, »ich weiß selbst nicht mehr, was wirklich ist und was nicht. Ich sollte eigentlich einen Ehemann haben, doch er hat mich verlassen. Allerdings hat mir das Eheleben ohnehin nicht so gut gefallen. Ich bin zwar Mutter, doch Alice war Lydia eine weitaus bessere Mutter, als ich es je sein werde. Die Kleine vermisst Alice bestimmt. Vielleicht hätte ich das arme Kind bei ihr lassen sollen, anstatt es hierherzubringen. Aus irgendeinem Grund scheint sie mehr zu Alice als zu mir zu gehören.«
    Thora wusste, dass sie sich in einem Zustand der Verwirrung befand. Schon länger war ihr aufgefallen, dass sie manchmal Gedächtnislücken von mehreren Stunden hatte. Sie verirrte sich im Busch und musste sich darauf verlassen, dass das Pferd den Heimweg fand. Sie glaubte, ein Mann liege in ihrem Bett, doch nie war es Clem. Entweder teilte sie das Bett mit dem freundlichen, lustigen Mike oder Matt Spencer, der sie vergewaltigt und verlassen hatte. Noch immer litt sie seinetwegen unter Albträumen.
    Sie hatten eines Abends im Park geschmust und sich geküßt. Matt war ein hübscher Bursche, der allen Mädchen gefiel, obwohl er als einfacher Stallknecht arbeitete. Er war stark und leidenschaftlich, manche Mädchen fanden ihn »sexy«, doch Thora mochte dieses Wort nicht. Ihr gefiel einfach seine ganz besondere Ausstrahlung.
    Irgendwann war er in Wut geraten und hatte behauptet, sie spiele nur mit ihm. Es war still geworden im Park, und auch sie hatte nach Hause gehen wollen, doch Matt hatte sie festgehalten. Thora hatte sich zu sehr geschämt, als dass sie um Hilfe gerufen hätte. Er hatte sie zu Boden gedrückt, ihre Kleider zerrissen und sich auf sie geworfen. Als sie sich danach hochgerappelt hatte und weggelaufen war, hatte er nur gelacht.
    Sie hatte ihre Tränen unterdrücken müssen, um zu Hause unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen.
    Thora strich sich übers Gesicht, als wolle sie die schreckliche Erinnerung fortwischen. Nie wieder wollte sie daran denken. Es war vorbei. Endgültig. Begraben. Nur Lydia, die friedlich in ihrem Bett schlief, diente als ständige Erinnerung an die Schmach, die sie durch Matt Spencer erlitten hatte. Manchmal fragte sie sich, ob es nicht klüger gewesen wäre, die von ihrem Vater vorgeschlagene Abtreibung vornehmen zu lassen, doch ihre Eltern hatten ihr so zugesetzt, dass sie das Gefühl gehabt hatte, sich weigern zu müssen. Und in ihrem Hang zu Tagträumen hatte sie auch nie so recht geglaubt, dass sie ein Kind bekommen würde.
    Lüge und Wahrheit. Der Vorwurf der Sünde war eine ungeheuerliche Lüge. Eine Wahrheit war jedoch, dass selbst ihre Träume sie belogen und ihr zuflüsterten, Lydia sei gar nicht ihr Kind. Thora war erleichtert, wenn sie ihnen einmal entrinnen konnte.
    Sie wandte sich wieder ihrem Brief zu und versank erneut lächelnd in ihren Tagträumen. Was würden sie sagen, wenn sie erführen, dass der berüchtigte Edgar Tanner sie in der Hotelhalle gerettet und eingeladen hatte, bei einem göttlichen Sonntagsessen im Speisesaal des
Palace Hotel
in Perth die Tischdame zu spielen? Und dass sie bei einem neuen Freund, dem englischen Lord, einen positiven Eindruck hinterlassen hatte?
    »Sie«, das waren die Leute in Lancoorie und York und sogar Clem. Warum sollte sie ihnen überhaupt etwas von ihren Erlebnissen erzählen, ihnen Einlass in diese Welt ihrer Träume gewähren? Schließlich hatten die Bewohner dieser verhassten Kleinstadt über Edgar Tanner hergezogen. Was ging es sie an, ob er seiner schrecklichen Frau tatsächlich weggelaufen und aus York geflohen war! Sie sah in diesem Mann, der so gewandt und höflich war, auf einmal eine verwandte Seele. Ihre Mutter, eine seiner erklärten Feindinnen, hätte alles darum gegeben, Freunde zu haben, wie er sie besaß.
    Oh, ja, sie und Edgar hatten tatsächlich viel gemeinsam. Sie nahm wieder den Füllfederhalter zur Hand und schilderte ihren ersten Tag in Perth in den leuchtendsten Farben, berichtete von dem herrlichen Hotel mit seinen zahllosen Zimmermädchen, die einem alle Arbeiten abnahmen, und den Einladungen, die sie erhalten hatte.
    Am nächsten Morgen, so schrieb sie begeistert, würde sie die als Kings Park bekannten botanischen Gärten

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