Leuchtendes Land
drei Etappen reisen. Können Sie reiten?«
»Dafür bin ich noch nicht zu alt«, grinste Kengally. »Ich bin geritten, bevor ich laufen konnte. Sie arrangieren die Safari, und ich sitze Montagmorgen im Zug. Das wird ein Abenteuer, was?«
Überaus zufrieden mit dem Verlauf dieses Tages kehrte Edgar ins Büro zurück und schickte seinen Angestellten los, um Pralinen für Thora zu kaufen. Um sieben Uhr war er mit der liegengebliebenen Arbeit durch und eilte ins Hotel zurück. Einen ständigen Aufenthalt im
Palace
, dem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens von Perth, konnte er sich nicht leisten. Für einige Shilling versorgten die Gepäckträger ihn jedoch mit den notwendigen Informationen über die jeweiligen Gäste. Die Investition hatte sich bereits bezahlt gemacht, da er auf diese Weise im Billardzimmer auch Lord Kengally kennengelernt hatte. Auch das
Albert Hotel
in Kalgoorlie diente ihm als sprudelnde Informationsquelle. Edgar selbst hatte im Grunde keinen festen Wohnsitz.
Im Flur traf er Lydias Nanny. »Ist Mrs. Price da?«
Das Mädchen schaute ihn besorgt an. »Sie ist immer da.«
Das kam Edgar seltsam vor. Er zwinkerte ihr zu und klopfte an.
Die Nanny hieß Henrietta Barnes, wurde jedoch allgemein Netta gerufen. Sie hatte sich um eine Stelle als Hausmädchen beworben und war vorübergehend bei Thora gelandet. Miss Devane hatte sich für sie entschieden, da sie ausgezeichnete Zeugnisse vorweisen konnte und als ältestes von acht Kindern an den Umgang mit Babys gewöhnt war. Miss Devane war mit ihr zufrieden, da sie mit Lydia so gut zurechtkam. Hingegen wusste sie nicht, was sie von Lydias Mutter halten sollte, die ihr ziemlich sonderbar erschien.
Netta hatte lange genug als Dienstbotin gearbeitet, um zu wissen, dass sie ihre Arbeitgeber niemals kritisieren durfte, weil sie unweigerlich davon erfahren würden. Die Bemerkung gegenüber Mr. Tanner war ihr einfach herausgerutscht. An seinem Blick hatte sie gemerkt, dass sie ihm seltsam vorgekommen war.
Sie hatte damit lediglich sagen wollen, dass Mrs. Price selten das Zimmer verließ. Am Morgen beantwortete sie die Einladungen und brachte die Briefe zur Post. Mrs. Price nahm alle Einladungen mit Freude an, kam ihnen jedoch niemals nach – abgesehen von der einen morgendlichen Teegesellschaft. Sie ging nur mit ihren beiden »Verehrern« aus, doch beanspruchten diese keineswegs ihre gesamte Zeit.
Und in ebendieser Zeit, in der sie nicht ausging, verhielt sie sich so seltsam. Sie saß stets auf einem Stuhl am Fenster. »Unterwegs mit den Elfen«, pflegte Netta zu sich selbst zu sagen, da die Frau sich dann nicht für ihr Kind interessierte, nicht las, nicht redete und auch nichts aß. Wenn Netta anbot, ihr etwas zu bestellen, lehnte sie ab. Sie hätte beispielsweise schwören können, dass Mrs. Price am Donnerstag überhaupt nichts zu sich genommen hatte. Vielleicht war die arme Frau einfach zu schüchtern, um allein im Speisesaal zu essen, doch selbst als sie ihr angeboten hatte, ein schönes Essen hochbringen zu lassen, hatte Mrs. Price ihr hochmütig geantwortet: »Daran würde ich im Traum nicht denken. Ich habe so viele gesellschaftliche Verpflichtungen, dass ich gar nicht allen nachkommen kann.«
Netta war einer Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Und so war Mrs. Price auf ihrem Stuhl sitzen geblieben und in einer anderen Welt versunken.
Netta hatte an diesem Tag vorgeschlagen, dass sie Lydia in deren neuem Kinderwagen spazieren fahren könnten, doch die Missus war zum Lunch verabredet. Netta war froh, dass sie etwas essen würde und sie selbst dem Zimmer entfliehen konnte.
Und mit etwas Glück würde Mr. Tanner ihre Herrin jetzt auch zum Abendessen entführen.
Thora war nicht überrascht ihn, zu sehen, und freute sich so über die Pralinen, dass sie Tanners herzlichen Wangenkuss, gar nicht zu bemerken schien.
»Wohin gehen wir heute Abend?«, erkundigte sie sich.
Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, Thora an diesem Abend auszuführen, da er am nächsten Morgen aufbrechen wollte. Unten in der Bar saßen überdies einige seiner Kunden, mit denen er in Kontakt bleiben musste, doch Thora sah einfach himmlisch aus und wühlte schon in einem Berg von Hüten.
Schließlich entschied sie sich für einen Hut aus braunem Velours, und sie machten sich auf den Weg.
Tanner führte sie in ein kleines Cafe am Flussufer, wo sie eine ruhige Mahlzeit einnahmen.
»Sie wirken müde«, bemerkte Edgar. »Mir geht es ähnlich. Habe zu viel
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