Leuchtendes Land
wünschte, ich könnte die Zeit um ein Jahr zurückdrehen. Die arme Thora, mir wird ganz übel, wenn ich an das Gefängnis denke.«
»Du bist ihr nicht böse?«
»Natürlich nicht. Sie wusste nicht, was sie tat.«
Sie gingen den Brief Seite für Seite durch. Clem wurde aschfahl, als ihm das volle Ausmaß von Thoras Zusammenbruch bewusst wurde. Was in ihrem Bericht fehlte, konnte Clem ergänzen, angefangen bei seinem ersten Treffen mit Dr. Carty bis hin zum Tod von Thoras Baby.
»Sie hat es die ganze Zeit gewusst«, sagte er verzweifelt. »Trotzdem glaube ich immer noch, dass Lydia ein Trost für sie war. Sie hat nie über irgendetwas gesprochen und wirkte immer so gelassen, als habe sie überhaupt keine Sorgen.«
»Klingt nicht gerade nach Gelassenheit, wenn sie ihrem Ehemann den Sex verweigert.«
»Das kann man hinterher immer sagen.«
Fred hätte gern Clems Einladung, im Strandhaus zu übernachten, angenommen, hatte aber zu viele anderweitige Verpflichtungen. Wie Clem war auch er an die Stille des Buschs gewöhnt und fand diesen Ort am Meer keineswegs einsam. Im Grunde seines Herzens beneidete er Clem um diesen herrlichen Zufluchtsort.
»Würdest du dem Anwalt bitte Thoras Brief übergeben?«, bat dieser.
»Bist du sicher, dass das richtig ist?«
»Nein, ich bin mir nicht sicher, aber Conway steht auf ihrer Seite. Er muss alle Fakten kennen.«
»Es könnte ihn dazu bewegen, auf Unzurechnungsfähigkeit wegen Geisteskrankheit zu plädieren. Dann würde sie in der Irrenanstalt enden.«
»Wäre das nicht besser als das Gefängnis?«, fragte Clem bitter. »Dort könnte ich sie wenigstens besuchen. Und versuchen, sie herauszuholen.«
Der Brief machte Fred Sorgen, doch er tat, worum Clem ihn gebeten hatte. Er übergab das Schreiben dem Anwalt und sah enttäuscht zu, wie Conway es kommentarlos überflog. Viel mehr als für diesen Brief schien er sich für Clems Gesundheitszustand und seine Haltung Thora gegenüber zu interessieren. Er erkundigte sich, was Fred über Clems und Thoras Ehe, ihre Familien und ein gewisses Bordell wusste. Und über Jocelyn.
Da Fred wusste, dass Clem auf eine Zusammenarbeit zwischen ihm und Conway Wert legte, beantwortete er dessen Fragen so genau wie möglich. Was Thora in seinem Hotelzimmer angerichtet hatte, erwähnte er nicht, da Conway ihn nicht danach fragte. Wie Clem war Fred der Ansicht, dass sie ohnehin genügend Probleme habe und es umso besser sei, je weniger die Geschworenen erfuhren.
Am nächsten Tag besuchte er Thora mit Conway zusammen. Sie freute sich, als sie von Clems Entlassung aus dem Krankenhaus erfuhr, war aber enttäuscht, dass er nicht zu ihr kam.
»Die Behörden gestatten es nicht«, erklärte Fred. Conway hatte ihn eindringlich davor gewarnt, ihn in ihrer Gegenwart zu kritisieren, damit das so mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seiner Klientin nicht zerstört würde.
»Er lässt Sie aber von ganzem Herzen grüßen«, fügte Fred hinzu.
»Oh, ja«, sagte sie traurig, »wie immer aus weiter Ferne.«
Der Gerichtssaal war überfüllt. Es war erstickend heiß. Draußen drängte sich eine riesige Menschenmenge. Als die Rathausuhr zehn schlug, betrat der Richter den Saal, und die Gespräche erstarben.
Fred Vosper schaute sich um, konnte Clem jedoch nirgends entdecken. Er hatte angedroht, sich über die Anweisungen hinwegzusetzen und zur Verhandlung zu erscheinen. Anscheinend hatte er sich dann doch eines Besseren besonnen.
Als Thora hereingeführt wurde, ging ein gedämpftes Raunen durch den Saal. Sie sah traurig, verhärmt, aber unglaublich schön aus. Erstaunlich schön. Hatte sich ganz in Weiß gekleidet. »Vermutlich nach den Anweisungen Conways«, dachte Fred, denn statt für eines ihrer teuren, eleganten Kleider hatte sie sich für ein schlichtes Musselinkleid entschieden. Sie trug keinen Hut, und ihr blondes Haar fiel offen über ihre Schultern. In der Hand hielt sie ein winziges Spitzentaschentuch.
Die Anklage wegen versuchten Mordes wurde vorgebracht, und die Räder der Justiz setzten sich langsam in Bewegung. Thora war angewiesen worden, auf der Anklagebank Platz zu nehmen. Sie schaute geradeaus und wandte sich nicht ein einziges Mal der Menge zu. »Sicher eine weitere Vorsichtsmaßnahme Conways«, dachte Fred und überlegte, wie lange sie wohl durchhalten würde.
Als der Staatsanwalt seine Eröffnungsrede hielt, zitterten ihre Lippen. Fred schaute zu den Geschworenen hinüber, die Thoras Reaktion anscheinend gar
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