Leuchtfeuer Der Liebe
törichterweise angenommen, seine Qualen lindern, seine kranke Seele heilen zu können.
Sie konzentrierte sich auf den matschigen Waldweg. Angst stieg in ihr auf. Das war töricht. Sie hatte Schlimmeres durchgemacht, als mutterseelenallein durch einen Wald zu irren. Seit Papa und ihre Brüder gestorben waren und Mama ihnen kurz darauf gefolgt war, war sie ganz allein auf der Welt. Sie war gezwungen gewesen, den armseligen Familienbesitz zu verkaufen für den Preis einer Schiffspassage nach Amerika.
Amerika, von dem die Daheimgebliebenen schwärmten, hatte sich leider nicht als das Gelobte Land erwiesen. Was hatte sie in diesem Land erreicht, außer ein gebrochenes Herz und ein Kind im Bauch? Ein Schluchzen aus Zorn und Verzweiflung entrang sich ihrer Brust. Sie kämpfte gegen die Panik an, die ihr die Kehle zuzuschnüren drohte, und setzte ihren Weg tapfer fort. Sie hatte nicht einmal ein Heim für ihr Kind gefunden, das sie in vier kurzen Monaten im Arm wiegen würde. Sie wusste nicht einmal, wie sie beide überleben sollten.
In der zunehmenden Dämmerung konnte sie nicht genau erkennen, welche Richtung sie einschlug. Sie achtete darauf, die sinkende Sonne zur Linken zu haben, und ging in nördliche Richtung durch den Wald, in dem die Schatten immer länger wurden. Die Stadt Ilwaco lag im Norden. Irgendwo musste die Straße sein.
Ach ja. Die Straße war durch einen riesigen Baumstamm versperrt. Sie hatte Erik überredet, den vom Sturm halb entwurzelten Stamm ganz umzuhacken, um die Straße unpassierbar zu machen.
Sie hatte den Wunsch gehabt zu bleiben.
Nach ihren schrecklichen Erlebnissen in San Francisco war sie blind geflohen, hier im Norden gestrandet, und mit jedem Tag hatte sie der Leuchtturmwärter mehr und mehr fasziniert, der abgeschnitten von der Welt in dem hübschen Häuschen am Meer lebte.
Wieder drängte sich sein Bild in ihre Gedanken. Dunkles Haar, eisblaue Augen, verkniffener Mund, große, zupackende Hände. Ach, Jesse. Er hatte so vieles zu geben. Ihr war nicht wirklich klar, warum sie das wusste, aber sie wusste es mit einer Deutlichkeit, die nur einem gläubigen Herzen entspringen konnte.
Sie blieb kurz stehen, um Atem zu schöpfen. „Niemand außer mir sieht ihn so, wie er wirklich ist", murmelte sie halblaut. Aus einem ihr unerfindlichen Grund war sie plötzlich davon überzeugt, dass nur sie Jesse Morgan von seinen unsichtbaren Ketten befreien könnte, die ihn an seine dunkle Vergangenheit fesselten.
„Und wieso sollte ich mir das wünschen?" Sie stieg wieder über eine schleimige Nacktschnecke und schlitterte einen glitschigen Abhang hinunter. Wenn er allein leben wollte wie ein wildes Tier in seiner Höhle, ging sie das nichts an.
Oder doch?
Sie seufzte tief. Ob es ihr gefiel oder nicht, ihr Schicksal war unweigerlich mit dem von Jesse Morgan verbunden. Hatte er nach dem todbringenden Schiffbruch nicht die Nacht für sie erleuchtet? Hatte er sie nicht aus der Brandung gezogen, sie gewärmt und ihr das Leben gerettet? Hatte er nicht unermüdlich an ihrem Bett gewacht, als sie ohne Bewusstsein war?
Ja, das alles hatte er getan, er hatte ihr einen Platz in seinem Leben eingeräumt, obwohl er sie mit jeder Faser seines Daseins ablehnte.
In wirre Gedanken verstrickt, schleppte sie sich in der hereinbrechenden Dunkelheit weiter. Die Sonne war untergegangen, und vom Waldboden stieg feuchte Kälte auf. Sie rutschte auf dem matschigen Lehm aus, verlor beinahe den Halt und klammerte sich an rankendem Gestrüpp fest.
Um sich ein paar Minuten auszuruhen, setzte sie sich auf einen flachen Felsen, der von tropfenden Ästen nass und glitschig war. Mit einem dürren Zweig begann sie zerstreut, etwas in den Matsch zu kratzen.
Sie konnte zwar nicht lesen und schreiben, aber einen Satz konnte sie doch schreiben, weil er ihr in Amerika so häufig begegnet war.
Sie kritzelte die Buchstaben mit dem Stöckchen in den feuchten Waldboden: KEINE IREN. Keine Iren. Diese Lektion war ihr schmerzhaft eingetrichtert worden, sobald sie in New York City an Land gegangen war und später dann in San Francisco. Das Schild Keine Iren hing an jeder Ladentür, an jedem Dienstboteneingang herrschaftlicher Häuser und an der Tür zu jedem Handwerksbetrieb. Amerika wollte kein mittelloses irisches Mädchen ohne Familie aufnehmen. Dieser Umstand hatte sie zu verzweifelten Schritten getrieben, hatte sie dazu verleitet, den schlimmsten Fehler ihres Lebens zu begehen.
Sie hatte nur einen Ort gefunden, an dem dieses
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