Leute, das Leben ist wild
Will sie Papa eifersüchtig machen, oder was? Das hat sie doch gar nicht nötig.
Helmuth schuckelt Mimi aufgeregt auf seinem starken Arm und sagt: »Versucht einfach, Freunde zu bleiben.«
Guter Tipp! Wenn einer es nicht geschafft hat, mit seiner Ex-Frau gut Freund zu bleiben, dann ist das Helmuth. Wen wundert es? Er hat seine Frau für Cotsch verlassen. Es klingelt schon wieder. Jetzt ist definitiv meine Schwester gefragt. Die muss die Tür aufmachen. Cotsch schreckt vor nichts zurück. Die stellt sich jeglicher Problematik, ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist ihre Spezialität. Mit Schmackes wirft sie die glühende Zigarette in die Büsche, bläst den Rauch aus und stürmt durchs Haus. »Der kann was erleben.«
Helmuth, Mimi, Mama und ich rotten uns zusammen
und linsen vorsichtig hinter dem Türrahmen hervor. Irgendwie scheinen wir gerade alle unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ich höre mein Herz schlagen. Oder ist es Helmuths?
Kurz darauf kommt Cotsch mit Mamas »bester Freundin« Rita durch den Flur zurück. Cotsch verdreht die Augen und macht heimlich diese Geste mit dem Zeigefinger, als ob sie kotzen muss. Dazu flötet sie: »Rita ist da!«
Die Nervtante hat uns gerade noch gefehlt. Wenn schon Stress im Haus ist, dann aber richtig. Wie immer trägt sie ihren violetten Cordanzug, den sie, so munkelt man in der Siedlung, aus dem Altkleidercontainer an der Bushaltestelle gezogen hat. Mich würde es nicht wundern. Rita besorgt für sich und ihre Töchter sämtliche Klamotten aus dem Altkleidercontainer, weil sie Angst hat, zu verarmen. Unter uns: Sie hätte sich mal wieder die Haare nachfärben lassen sollen. Am Ansatz kommt das Grau durch. »Juhu, ich bin’s, Rita! Wo ist denn das Geburtstagskind?«
Ich hebe meine Hand zum Gruß. »Tach.«
Mama gibt ihr rechts und links auf die rotgeschminkten Wangen ein Küsschen, aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie ihren unterwürfigen Rita-Blick aufsetzt. Das ist ein totaler Automatismus bei Mama. Da kann sogar nicht mal das Yoga was dagegen ausrichten. Helmuth reicht Rita galant die Hand und Alina kommt verschämt unter dem Esstisch hervorgekrabbelt und beißt sich auf die Lippe. »Hi.«
Rita sieht Alina verwundert an, vermutlich hat sie in ihrem Leben noch nie erlebt, dass jemand erleichtert aussieht, wenn sie auf der Bildfläche erscheint. Dann wendet sie sich mir süßlich lächelnd zu. In ihren Händen hält sie
so einen Merchandising-Plastikflügel. Den reicht sie mir rüber. »Lelle, ich wollte dir zu deinem Geburtstag gratulieren. Ich hab gehört, du veranstaltest heute Abend eine Party. Warum hast du denn Alice und Susanna gar nicht eingeladen?«
Warum wohl? Die beiden Genies will ich hier nicht rumhängen haben, die ruinieren mir das ganze Erscheinungsbild. Die laufen in Oldschool-Faltenröcken, weißen Rüschenblüschen und Collegeschuhen herum, plus goldener Schleifen im Haar. Außerdem haben die Segelohren, wie wir wissen. Was natürlich nicht wirklich schlimm ist. Ich meine, sie können ja nichts dafür. Jetzt überlege ich mir nur, woher Rita das mit der Party weiß? Am Ende hat Mama ihr das gesteckt. Wer sonst? Manchmal frage ich mich wirklich, was mit meiner Mutter los ist. Die muss doch schnallen, dass ich Ritas Töchter nicht dabeihaben will. Die haben einfach einen komplett anderen Jargon drauf - irgendwie so akademisch. Ständig faseln sie vom absoluten Gehör und von Reagenzgläsern. Aber Mama denkt immer: Alle Menschen sind gleich. Schön wär’s! Außerdem waren Alice und ich in der Kindheit doch mal so gut miteinander befreundet … Aber vermutlich will sich Mama nur gut mit Rita stellen - aus nachbarschaftlichen Gesichtspunkten -, weil Rita so viel »Intimes« über Mama weiß. Wobei mich mal interessieren würde, ob für eine echte Freundschaft unter Frauen ausschlaggebend ist, ob die Töchter sich gegenseitig auf Partys einladen? Wenn, dann zeigt das doch schon, wie krank diese Verbindung ist. Das totale Abhängigkeitsverhältnis! Im Übrigen quatscht Rita sowieso alles brühwarm weiter. Die kann gar nicht anders. Die baut sich mit ihrem »geheimen Wissen« auf und macht sich damit vor den anderen Siedlungsfrauen
beim Teenachmittag in ihrer Villa vor dem Kamin wichtig. Vermutlich würde ich sogar Alice und Susanna einladen, wenn Rita nicht so gestört wäre. In dem Fall wäre die Freundschaft zwischen ihr und Mama natürlich auch nicht gestört. Und am Ende muss man sich wieder mal fragen, warum Mama derart auf
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