Leute, die Liebe schockt
manisch das Klavierspiel übt, haben wir uns nicht mehr viel zu sagen. Sie hält sich für was Besseres und ist so was wie der Paganini am Klavier. Alice spielt den Flügel, dass die Tasten glühen. Über diesen Wunderkind-Weg sichert sich Rita ihren Lebensunterhalt, indem sie ordentlich viele Konzerte mit Alice organisiert, und baut ihre riesige Villa am Siedlungsrand ziemlich pompös aus. Mit Wintergarten, Sauna, Fußbodenheizung und Blick hinaus auf den Entenweiher im Park. Von wegen verarmen! Ich glaube, Rita bildet sich gerne mal ein, dass die Parkanlage auch noch ihr gehört. So ist die. Total grö ßenwahnsinnig. Darum schafft sie es auch, Mama unter Kontrolle zu halten und sie zu erniedrigen. Mama macht
alles für Rita, weil sie denkt, dass Rita so eine Art Göttin ist, die emotionale Hilfe braucht. Dabei hat Rita nur den Dreh raus, wie sie Mama auslutschen kann.
Arthur und ich bleiben im Türrahmen stehen, und eigentlich wollen wir sofort wieder rückwärts verschwinden, aber da hat uns Mama schon erblickt.
»Kinder!«
Sie lächelt, und das ist auch kein Wunder, denn vor Rita spielt sie gerne die Starke, bei der alles glattläuft. Sie will nicht, dass Rita in der Siedlung und beim Bioladen an der Kasse rumerzählt, dass wir hier das reinste Irrenhaus sind und Cotsch auch noch schwanger ist. Damit würde sie Susanna den sicheren schulischen Sieg garantieren. Im Übrigen sind Mama und Rita schon wieder dabei, ordentlich Baileys zu tanken. Sobald die beiden zusammen auf unserem Sofa abhängen, öffnet Mama das Barschränkchen und gießt sich und Rita zwei Gläser mit sahnigem Baileys voll. Würg.
Arthur und ich heben cool die Hände zum Gruß. »Hi, na?«
Und ich sage noch: »Was geht?«
Rita stellt ihr Gläschen auf dem Beistelltisch ab und meint mit so einem künstlichen Lächeln: »Lelle, melde dich doch mal wieder bei Alice. Sie würde sich wirklich freuen. Sie ist doch so unbeliebt in der Schule, weil sie diese musische Sonderbegabung hat. Damit können ihre Mitschüler nur ganz schwer umgehen. Aber du hast dieses großzügige Wesen, Lelle. Bitte, tu mir den Gefallen. Alice braucht mal ein bisschen Ablenkung.«
Das kenne ich schon. Die Rede schwingt Rita jedes Mal. Und wenn ich mich dann erbarme und rübergehe,
reißt Alice mit wutentbranntem Gesicht die Tür auf und blökt: »Lelle, du weißt doch, dass ich übe. Stör mich nicht.« Dann haut sie die Tür wieder zu, und ich bin froh, dass ich wieder abdampfen kann. Alice kann nämlich über nichts anderes quasseln als über ihre musikalische Profi-Karriere. Ich meine, ich freue mich ja für sie. Aber irgendwann ist das Thema auch abgefrühstückt. Mich würde eher interessieren, ob sie jetzt endlich mal einen Freund hat. Vermutlich nicht. Also lasse ich es mit meinem Besuch bei ihr in der Villa gleich bleiben.
Trotzdem nicke ich lieb und verspreche: »Klar, mache ich.«
Anschließend ziehen Arthur und ich uns schnell in mein Zimmer zurück, setzen uns auf meine Bettkante und drehen uns erst mal eine Zigarette, zum Runterkommen. Ich bin echt ein bisschen sauer auf Mama. Zuerst will sie unbedingt, dass Arthur rüberkommt und seelischen Beistand leistet, und kaum taucht Rita auf, werden Arthur und ich überflüssig und spielen keine Rolle mehr. Ich finde, so geht man nicht mit hilfsbereiten Leuten um.
4
Arthur und ich sitzen auf meiner Bettkante, rauchen unsere selbst gedrehten Zigaretten und gucken zum Fenster rüber. Dahinter kratzen die Äste des Rosenbusches mit ihren kleinen grünen Knospen über das Glas. Papa liebt seine Rosenbüsche mehr als Mama. Das behauptet jedenfalls Mama. »Euer Vater liebt seine Rosen mehr als mich.« Das sagt sie manchmal, wenn Papa wieder den gesamten Sonntagnachmittag mit dem Zurechtstutzen seiner Rosenbüsche verbringt, anstatt sich mit Mama zu unterhalten oder mit ihr einen Spaziergang zu machen. Mama liebt Spaziergänge. Mindestens einmal am Tag latscht sie um den Entenweiher, um, wie sie sagt, »einen freien Kopf zu kriegen«.
Arthur drückt seine Zigarette in der Untertasse von meinem Teeservice aus, das ich mit zwölf von meiner Oma zu Weihnachten bekommen habe, und atmet tief ein. Dann aus. Ich drücke ebenfalls meine Zigarette aus und wir sehen uns tief in die Augen. Arthur legt seine Hand in meine und sie ist wider Erwarten ganz kalt. Normalerweise hat Arthur nie kalte, sondern immer warme Hände. Und noch etwas ist komisch: Seine Pupillen flippen ganz schnell hin und her. Wenn sie das machen, weiß
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