Leute, die Liebe schockt
ich, dass meinem Freund ein ordentliches Problem im Kopf rumgeht und er nur nicht weiß, wie er es vor mir
formulieren soll, ohne problematisch oder vorwurfsvoll zu klingen.
Um es ihm leichter zu machen, streiche ich ihm zärtlich das Haar aus der Stirn und frage mit lässiger Stimme: »Süßi, was geht?«
Und er: »Nichts, wieso?«
»Weil deine Pupillen so rumflippen.«
»Machen sie doch gar nicht.«
»Machen sie wohl, und daran sehe ich, dass du mich was fragen willst, aber nicht weißt, wie du es ausdrücken sollst.«
»Stimmt.«
Ich lächle ihm aufmunternd zu, obwohl ich innerlich ziemlich am Rätseln bin, was jetzt kommt. In jedem Fall irgendwas Grundlegendes, was unsere Beziehung anbelangt. Arthur lässt sich nach hinten in meine Kissen wegsinken, verschränkt die Arme unter dem Kopf und atmet noch mal tief ein und aus.
Ich lege mich zu ihm, meinen Kopf direkt neben seinen, drehe ihm mein Gesicht zu und flüstere: »Was?«
Leute, ich will es wissen. Irgendwas geht da vor. Ich will es klären. Ich kann alles klären. Wenn Arthurs Pupillen derart rumflippen, fühle ich mich immer stark, weil ich weiß, dass er sich von mir eine brauchbare Antwort erhofft, die ihn weiterbringt. Und Arthur weiß, dass ich die emotionale Intelligenz besitze. Er weiß, dass ich auf fast alle seine Fragen eine Antwort parat habe. Das liegt daran, dass ich schon seit ein paar Jahren zur Therapie gehe, außerdem einige Monate in der psychosomatischen Klinik verbracht habe und schon die dunkelsten Täler des Lebens durchschritten habe. Es ist witzig, aber wenn
andere Leute meine Hilfe brauchen, kann ich meistens auch helfen. Nur was mich selbst anbelangt, habe ich irgendwie nicht die nötige Klarsicht.
Arthur öffnet den Mund, ich streiche ihm über die Brust. »Sag mal, was beschäftigt dich denn?«
Dann über den flachen Bauch, bis zu seiner Gürtelschnalle. Und genau da hält er meine Hand fest. »Stopp.«
Ich setze mich auf. »Was?«
»Genau das meine ich.«
»Was?« Meine Stimme klingt plötzlich brüchig und gar nicht mehr erwachsen oder cool.
Arthur setzt sich auch auf. Sein Gesichtsausdruck ist mit einem Mal total ernst: »Ich meine: Du solltest dir die Pille verschreiben lassen.«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
»Beim Frauenarzt.«
»Spinnst du? Da gehe ich nicht hin.«
»Willst du schwanger werden?«
»Nein.«
»Na also!«
Leute, das hätte mir Arthur auch freundlicher sagen können! Der redet gerade so mit mir, als hätte ich was Schlimmes verbrochen. Vermutlich ist ihm die Angelegenheit peinlich. Er weiß ja, dass ich mich weigere, zum Frauenarzt zu gehen. Ich will mich weder untenrum nackt ausziehen noch mich entblößt auf diesen gruseligen Untersuchungsstuhl legen. Ich weiß jetzt schon, dass ich danach hochgradig traumatisiert sein werde. Ich werde diese Erfahrung nie verarbeiten können. Ich werde nach Hause zurückkommen und vor lauter Schock meinen Geruchssinn oder mein Sprachvermögen verloren
haben und den Rest meines Lebens stumm und düftelos verbringen müssen, weil ich nicht drüber wegkomme, was ich beim Frauenarzt erlebt habe. Gut, ich meine, alle Frauen gehen zum Frauenarzt, und ich kenne keine, die vor Schock verstummt ist. Dafür habe ich neulich eine ganz schreckliche Geschichte in der Zeitung gelesen, von einem siebenjährigen Mädchen aus England, das einen Milchzahn vom Zahnarzt gezogen bekommen hat und danach nicht mehr essen wollte, bis es schließlich verhungert ist. Das Ziehen des Milchzahns war einfach so einschneidend für sie, dass sie nie wieder den Mund öffnen wollte. Und auch wenn ich stark rüberkomme, so als könnte mich nichts umhauen, als hätte ich mein Leben voll im Griff, muss ich leider sagen, dass ich prädestiniert für Schockzustände bin.
Ich sage zu Arthur: »Ich kann da nicht hin. Ich werde einen Schock erleiden und mein Geruchssinn verlieren.«
Arthur grinst endlich wieder und zieht mich an sich. Er küsst mich auf die Stirn. »So ein Quatsch. Du doch nicht.«
Tja, Leute. Was soll ich dazu sagen? Er muss sich ja nicht auf diesen Stuhl legen. Mein Magen krampft sich zusammen. Ich will mich aufrichten und zur Entspannung gleich noch eine Zigarette rauchen, aber Arthur hält mich fest. »Jetzt bleib doch mal liegen.«
Arthur hält mich gerne mal fest, weil ich eher der hibbelige Typ bin. Ständig muss ich aufstehen und irgendwas machen. Also lege ich mich ihm zuliebe kurz hin und richte mich im nächsten Moment schon wieder auf. Arthur ist wesentlich
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