Leute, die Liebe schockt
sich auf diesen gruseligen Stuhl setzt und am Ende die Pille nimmt. Das ist total ungerecht.«
Arthur zieht die Augenbrauen hoch. »Was sollen wir sonst machen? Ich versuche ja nur, verantwortungsvoll mit dem Thema umzugehen. Ich meine, wir wollen beide nicht, dass du jetzt schwanger wirst, oder?«
Ich schüttle heftig den Kopf: »Nee, bloß nicht. Warum eigentlich nicht?«
»Meinst du das ernst?«
Ich nicke. »Allerdings. Liebst du mich nicht?«
»Was hat das denn damit zu tun?« Jetzt richtet sich Arthur auch auf und zieht sich seinen Kapuzenpulli aus. Offenbar wird ihm heiß. Interessant. Er legt den Kopf schief und meint nach einer ziemlich langen Pause: »Wie kommst du denn darauf? Nur weil ich jetzt kein Kind mit dir haben will? Ich meine: Du gehst noch zur Schule! Wir verdienen kein eigenes Geld. Vielleicht wäre es schlau, erst einmal eine verlässliche Basis zu schaffen, bevor wir ein Kind in die Welt setzen.«
Da hat er nun auch wieder recht. Also lächle ich. »Allerdings.«
Arthur rutscht nach hinten an die Wand, um sich mit dem Rücken anzulehnen, und schlägt die Beine übereinander. »Also? Wenn du die Pille nicht nehmen möchtest, könnte ich weiter Kondome benutzen.«
»Ja.«
»Findest du das gut?«
Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen und versuche, nicht zu grinsen. »Nee. Trotzdem wäre mir das lieber. Dann müsste ich nicht zum Frauenarzt gehen.«
Arthur wirbelt nun etwas aufgebracht mit den Händen in der Luft rum. »Aha! Jetzt könnte ich wiederum sagen: Wir schlafen miteinander, aber ich bin es, der sich ein Kondom anziehen muss. Das ist auch nicht so toll.«
Ich tue so ein bisschen verblüfft. »Warum?«
»Ist die Frage ernst gemeint? Ich meine, bist du ein Fan von Kondomen? Wenn ja, dann lass es mich wissen.«
Tja, Leute. Ich bin natürlich kein großer Fan von Kondomen. Aber von verantwortungsbewusstem Verhalten.
Besonders jetzt, wo meine Schwester schon schwanger ist. Da müssen wir Mama und Papa nicht mit noch einem Enkelkind beglücken. Und Arthur hat recht. Wir sollten uns erst mal eine sichere Basis schaffen, bevor wir durchdrehen und minderjährige Eltern werden. So einiges habe ich in meinem Leben ja auch noch vor. Und ein paar Fragen habe ich für mich auch noch nicht geklärt in Sachen Partnerschaft. Dazu komme ich später. In jedem Fall ist das hier gerade keine einfache Situation. Also werde ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und Mama nach der Telefonnummer ihrer Frauenärztin fragen müssen. Auch das noch. Ich sehe Mama direkt vor mir, wie sie mich entsetzt anguckt und sich zusammenrechnen kann, dass nun auch ihre kleine Lelle Sex hat. Würg.
Ich nehme mein Plüschschwein hoch, drehe es um, damit es dieses Grunzgeräusch macht, rieche an dem leicht verstaubten Plüschfell und bin sofort wieder fünf Jahre alt, sitze im Schneidersitz auf dem Boden und träume davon, dass mein Leben einfach nur super wird. Ich meine, Leute. Von außen mag es den Anschein haben, als sei mein Leben super. Man könnte denken: Was hat das junge, schlanke Mädchen mit den krausen Haaren und den Sommersprossen zu meckern? Es ist hübsch, es ist sehr schlank, es hat einen Freund und es hat Sex. Und an dieser Stelle muss ich sagen: All das, was oberflächlich super aussieht, hat auch eine dunkle Kehrseite. Ich kann nicht oft genug betonen, dass ich schon den Abgrund des Lebens hinuntergesehen habe. Und was ich da gesehen habe, war nicht schön. Überhaupt habe ich mich eigentlich oft nur noch mühsam und mit letzter
Kraft an einem Grasbüschel festhalten können, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Metaphorisch gesprochen - versteht sich. Ich meine damit, dass ich bereits einiges erlebt habe, in meinem Alter. Da wäre zum einen meine Magersucht, die ich in einer psychosomatischen Klinik auskurieren musste, dann ist da aber auch noch die Geschichte mit Mama und Rita. Cotsch und ich sind nämlich der Meinung, dass die beiden irgendwie eine Art Liebesbeziehung unterhalten, was Mama konsequent abstreitet. Sie schüttelt dann immer ganz heftig den Kopf und meint: »Wie kommt ihr denn darauf?« Und Cotsch und ich sagen: »Weil du immer total verwirrt nach Hause kommst, wenn du bei Rita warst.« Vermutlich werden Cotsch und ich die Wahrheit nie erfahren.
Ist mir auch lieber so. Ich will mir nicht vorstellen, dass meine Mutter eine »Freundin« hat. Sie ist ja schon mit Papa verheiratet. Und was der in seiner Mittagspause macht, will ich auch nicht wissen. Ich meine, man liest
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