Leute, die Liebe schockt
nicht daran, Mama hat diese Begabung in
ihm entdeckt, als sie zu dem Thema auch noch ein esoterisches Buch gelesen hatte. Mama meint seitdem, er solle am besten Heilpraktiker werden. Was mich anbelangt, versuche ich bei unseren Spaziergängen besonders gerne herauszufinden, wie toll Arthur mich eigentlich findet.
Wir schlendern die Straße runter, an den verwelkt aussehenden Vorgärten vorbei. Der Frühling kommt ja erst. Und wenn es erst mal so weit ist, werden all diese Vorgärten in voller Blütenpracht erstrahlen. Darum arbeiten die meisten Frauen aus der Siedlung auch nicht, weil sie den lieben langen Tag mit ihren Vorgärten beschäftigt sind und sich zwischendrin ja auch noch bei Kaffee und Kuchen treffen müssen. Mama meint, die Frauen hinken der Zeit hinterher, was daran liegt, dass ihre Männer so gut verdienen und die Frauen es nicht nötig haben, arbeiten zu gehen. Die haben sich für die klassische Rollenaufteilung entschieden. So ein rückschrittliches Verhalten ist nichts für Mama. Trotzdem arbeitet auch sie nur halbtags bei Papa in der Steuerkanzlei. Sie hat nämlich ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich nicht zu hundert Prozent um Cotsch und mich kümmert, sobald wir aus der Schule kommen. Unter uns: Ich glaube, Mama hat uns in der Kindheit ein bisschen zu viel betüddelt. Bis heute macht sie echt alles für uns, darum kann Cotsch auch nicht kochen. Das sollte sie, meiner Ansicht nach, allerdings ziemlich schnell lernen, wenn sie eine echte Mutter sein und in die Ehe eintreten will. Auf der anderen Seite hat Cotsch in Helmuth quasi ihre zweite Mama gefunden. Helmuth tut alles für sie. Alles! Und Cotsch nutzt es voll aus.
Arthur und ich biegen in den sonnenbeschienenen
Park ab, am Spielplatz vorbei, durch den kleinen Wald, Richtung Tennisplätze. Ich ziehe an meiner Zigarette und sage zu Arthur: »Ich glaube, ich werde für ein Jahr nach Australien gehen.«
Er guckt mich erstaunt von der Seite an. »Was? Wieso das denn?«
Ich zucke mit den Schultern und tue ungerührt. »Ja, ich denke, es ist wichtig, dass ich was Soziales mache und die Koalabären von dieser schlimmen Augenkrankheit befreie.«
»Von welcher Augenkrankheit?«
Über dieses Koala-Problem in den australischen Wäldern habe ich neulich mal einen Bericht im Fernsehen gesehen. Ziemlich beunruhigende Geschichte: Die Koalabärenbabys infizieren sich bei der Geburt bei ihren Müttern mit den sogenannten Chlamydien und erblinden daran. Darum gibt es jetzt Heime für Koalabärenbabys, in denen ihre Augen behandelt werden. Und weil diese Bärenbabys zur Behandlung von ihren Müttern getrennt werden, brauchen sie sehr viel Liebe und körperliche Nähe. Dafür wäre ich dann zuständig, würde ich tatsächlich nach Australien gehen. Aber unter uns: Ich habe es eigentlich nicht wirklich vor. Ich stelle es mir natürlich toll vor, so ein bisschen im Dschungel rumzuhängen und eine tief einschneidende Erfahrung zu machen, von der ich mein Lebtag zehren werde. Auf der anderen Seite könnte ich Arthur hier nie zurücklassen. Ich würde ihn viel zu stark vermissen und hätte Schiss, dass er sich in ein anderes Mädchen verliebt. So, wie ich mich letzten Sommer in Johannes verliebt habe, als er in Afrika war. Und wie ich vorhin schon erwähnte, komme ich gefühlsmäßig
noch immer nicht so richtig von Johannes los, was echt anstrengend ist. Irgendwie vermisse ich ihn - er war so ein sensibler Künstlertyp. Und ich überlege ständig, ob ich ihn nicht heimlich anrufen sollte. Scheiße, Leute. Vermutlich werdet ihr bald Zeuge werden, wie ich es tatsächlich tue. Was soll ich dagegen machen? Ich versuche, stark zu bleiben. Und gleichzeitig bringe ich Arthur um den Verstand, in dem ich Sachen behaupte wie: »Ich gehe nach Australien, um Koalabärenbabys zu retten.«
So ein Blödsinn. Nur damit er sagt: »Bitte geh nicht!« Und soll ich euch was verraten, liebe Leute?! Er wird es nie sagen, weil er ein sozial veranlagter Typ ist, der gerne in die Welt hinausgeht und Schwächeren hilft. Das ist ja gerade das Tolle an ihm. Arthur ist ein ziemlich unabhängiger Typ. Obwohl seine Eltern tot sind, hat er nie sein Urvertrauen verloren. Er glaubt an die himmlische Gnade und an Wunder und daran, dass alles gut wird. Und er glaubt, dass wir uns nie trennen werden und nie verloren gehen und wir füreinander bestimmt sind. Ganz ehrlich, ich glaube das nicht. Ich traue mir ja nicht mal selbst über den Weg. So schnell, wie ich mich in Johannes verliebt habe.
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