Leute, die Liebe schockt
zucke mit den Schultern.
»Okay?«
Die Frau notiert sich wieder was. Dann guckt sie nicht noch mal zu mir hoch, sondern reicht mir einen der weißen Plastikbecher, auf den sie mit schwarzem wasserfesten Stift meinen halben Namen geschrieben hat. »Elisab.«
»Bitte eine Urinprobe abgeben und in das dafür vorgesehene Schränkchen in der Toilette stellen.«
»Danke.«
Keine Ahnung, warum ich mich dafür auch noch bedanke. Wahrscheinlich, weil mir hier medizinische Hilfe angeboten wird. Also nehme ich den Becher, aus dem man sonst bei Kindergeburtstagen und Gartenpartys Saft oder Bier trinkt, und gehe damit rüber zur Toilette, wo noch eine Traube von Geschlechtsgenossinnen wartet, dass sich die WC-Tür wieder öffnet und sie in den Becher pinkeln können. Ich wünschte echt, Arthur wäre
hier. Dann könnte er mal sehen, wie absurd das alles ist. Der könnte mal sehen, was man als Frau so über sich ergehen lassen muss, damit der Laden läuft.
Endlich bin ich mit Pinkeln dran. Dummerweise muss ich gar nicht, weil ich seit heute Morgen nichts mehr getrunken habe. Trotzdem quetsche ich mich an der schwangeren Frau mit den dunklen Locken vorbei in die Toilette und in diesem Augenblick läuft bei mir ein regelrechtes Programm ab: Zuerst gucke ich, wo der Papierhandtuchspender hängt. Da ziehe ich mir ein Stück Papier raus und benutze es, um damit die Klinke runterzudrücken und die Verriegelung umzudrehen. Ich will hier nichts berühren. Wer weiß, unter welchen unangenehmen Krankheiten all diese Frauen leiden! Im Übrigen achte ich grundsätzlich darauf, dass ich Toilettenklinken nicht mit der bloßen Hand anfasse. Das haben meine Schwester und ich von Mama gelernt, weil wir alle nichts mehr fürchten, als uns mit Bakterien oder Viren anzustecken. Arthur meint, ich bin ein Hypochonder. Ist mir recht. Mama und Cotsch sind auch welche. Johannes, der Typ, den ich nicht aus dem Kopf bekomme, war viel entspannter, was Hygiene anbelangt. Der hatte keine Furcht vor Krankheiten. Der Glückliche!
Ich ziehe meine Hose runter und halte mir vorsichtig den Becher so hin, dass ich irgendwie reinpuschern kann, ohne mit der Hand die Klobrille zu berühren. Gar nicht so leicht, wenn man auch noch darauf achtet, nicht mit der runtergezogenen Hose am Klo entlangzuwischen. Das ist Millimeterarbeit, so viel ist mal klar. Und ich kriege es hin. Bis auf das Pipimachen. Ich muss wie gesagt nicht. Also warte ich und versuche, mich auf etwas
anderes zu konzentrieren. Es bringt nichts, sich aufs Pinkeln zu konzentrieren, weil das dann erst recht nicht klappt. Also denke ich wieder an Johannes und wie er einmal, als wir auf einer Party waren, wo er ein paar Platten als DJ aufgelegt hat, plötzlich an einem fremden Joint gezogen hat, den ihm jemand über die Plattenteller hingehalten hat. Der war total angenutschelt, aber Johannes hat trotzdem dran gezogen, weil er unbedingt einen Joint rauchen wollte. Danach hat er ihn mir rübergehalten: »Lelle, willst du auch?«
Ich habe natürlich dankend abgelehnt. Erstens: Ich nehme keine Drogen, weil man sich damit das Gehirn kaputtmacht. Und zweitens: Ich wusste ja nicht, welche chronischen Krankheiten der Typ hat, der den Joint vorher im Mund hatte. Ich kann behaupten, ich habe gut daran getan. Eine halbe Stunde später mussten sie diesen Typen nämlich zu dritt rausschleppen. Seine Pupillen haben mächtig gekreiselt und er ist dauernd gestolpert und hatte einen echt irren Blick drauf. Wow! Meine Freundin Alina meinte sogar, er hätte sich draußen einen Augenblick später in die Büsche übergeben. Sowieso wusste niemand von uns, wer das war und woher er kam. Der sah einfach nur total plemplem aus. Johannes hat dazu nur mit den Schultern gezuckt und wollte mich auf den Mund küssen. Trotz schwerer Bedenken habe ich mitgemacht, weil er an dem Abend der DJ war und alle, wirklich alle Mädchen mit ihm knutschen wollten. Tja, und ich war die Auserwählte.
Leider kam dann Arthur in den Raum rein und hat mich direkt über alle Köpfe hinweg mit Johannes knutschen sehen. Das war richtig scheiße. Das kann man sagen.
Ich habe mich natürlich entschuldigt und gemeint, dass sei aus Versehen passiert und hätte überhaupt gar keine Bedeutung. Er hat genickt, Johannes stand wieder hinter seinem DJ-Pult, die Leute haben getanzt und Alina stand an die Wand gelehnt und hat nur langsam den Kopf geschüttelt. Von wegen: »Lelle, du bist unmöglich.« Bis heute weiß ich nicht, ob sie beleidigt war, weil sie ja
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