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Leute, die Liebe schockt

Titel: Leute, die Liebe schockt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
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spüre es ganz deutlich. Und wie ich gerade so richtig schön die Lebendigkeit in mir spüre und weiß, dass aus meinem Leben was ganz Großes wird, hält die Bahn an der nächsten Haltestelle an, die Falttüren gehen auf, und ich höre auf zu atmen! Johannes und sein Cousin Samuel steigen ein. Äh! Damit habe ich nun gar nicht gerechnet! Was mache ich nur? Klebt mir etwas Unappetitliches im Gesicht? Ist meine Wimperntusche verschmiert? Ich brauche ein Kaugummi! Ich bin für diese ersehnte Begegnung nicht adäquat präpariert. Ich will nicht gesehen werden!
    Samuel steckt wie immer in einem monströsen Kapuzensweatshirt mit aufgeschäumtem Aufdruck auf dem Rücken. Dazu trägt er Baggy-Jeans, die er sich unter dem Hintern mit dem Gürtel festgeschnallt hat. Johannes hat seine ausgewetzten Röhrenjeans, seine ausgelatschten Chucks und ein schwarzes, zu kleines Jackett
an. Ein Tuch hat er sich um den Hals gewickelt. Die beiden sind schon wieder total am Ablachen und bemerken mich glücklicherweise gar nicht. Sie biegen sich hin und her, klopfen sich auf die Schultern und finden sich unheimlich komisch.
    Die Bahn ruckt an und Johannes und Samuel fliegen gegen eine Mutter mit Kinderwagen. Samuel hebt entschuldigend die Hand - »Sorry!« - und hält sich schnell an einer Haltestange fest. Johannes, und genau das mag ich an ihm, legt der Frau eine Hand auf den Unterarm und fragt: »Oh, Verzeihung. Habe ich ihnen wehgetan?« Und dabei grinst er freundlich und guckt auch gleich noch interessiert in den Kinderwagen. Er meint zu dem Baby: »He, Kumpel, du hast ‘ne klasse Mama!« Und sofort sehe ich, wie die Mutter Johannes verliebt anguckt und verzückt rumkichert.
    Ja, so ist Johannes. Genau wie ich: Er schafft es, den Leuten ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Deswegen passen wir ja auch so gut zusammen. Vor allen Dingen weil auch er zwei gegensätzliche Gemütsseiten hat. Zwischenzeitlich leidet er nämlich auch an ziemlichen Depressionen. Genau wie ich. Dann sitzt er in seinem dunklen Zimmer auf der Matratze und tritt von da aus gegen seinen Schreibtischstuhl oder versucht, sein Keyboard oder seine DJ-Tasche mit den darin enthaltenen Platten in der Schublade einzuquetschen - vor Wut über die kränkelnde Gesellschaft. Ihn macht es fix und fertig, dass die Menschen nicht alle rücksichtsvoll miteinander umgehen. Na ja, ich kann das natürlich verstehen. Darunter leide ich ja auch.
    Johannes und ich leiden aber auch darunter, dass die
Menschen oft sehr dumm sind und keine Fantasie haben und gegen alles sind, was ein bisschen anders ist. »Die Leute«, sagt Johannes, »wollen immer nur Durchschnitt. Darum haben sich ja auch so viele Künstler umgebracht, weil die dieses Mittelmaß und diese Dummheit, diese Engstirnigkeit nicht mehr ausgehalten haben.« Und wie ich ihn mir so ansehe, wie er sich neben Samuel an der Haltestange festhält und dem irgendwelchen Quatsch mit verstellter Stimme erzählt, erinnere ich mich, wie Johannes einmal zu mir gesagt hat: »Elsbeth, ich könnte mir keine bessere Mutter als dich für mein Kind vorstellen. Du bist genau so crazy wie ich. Und unser Baby würde richtig krass crazy werden.« In diesem Moment lagen wir in Jeans und T-Shirt auf seiner Matratze, wir hatten ein paar Kerzen auf den Boden gestellt, ziemlich heftig rumgeknutscht und überlegt, wie man sich am besten umbringen könnte, wenn man es auf der Welt nicht mehr aushält. Und nachdem wir festgestellt hatten, dass wir beide auf Pulsadern aufschneiden stehen, und uns ausgemalt haben, dass wir uns die gegenseitig aufschneiden könnten, als letzten Akt der Liebe, meinte Johannes plötzlich: »Elsbeth, mit dir hätte ich gerne ein Kind. Irgendwann. Mit dir will ich zusammen sein.« Und dabei hat er mit seinem Zeigefinger über die vernarbte Mikrobe auf meiner Leiste gestrichen. Wir haben beide eine. Die haben wir uns da im letzten Sommer gegenseitig reingeritzt und in die offene Haut Zigarettenasche gestreut, damit sich die Narben aufwerfen und auf der Haut ein Muster in Form einer Mikrobe ergeben. Ziemlich abgedreht. Wie das geht, hatte Johannes in einer Fernsehdokumentation über Zulus gesehen. Die machen solche
Körperverziehrungen am laufenden Band. Bei uns hat sich das Ganze dann leider ziemlich entzündet, weswegen Johannes von seiner Mutter kurz vor Schluss wegen einer fortgeschrittenen Blutvergiftung in die Notaufnahme gebracht werden musste. Bei mir tat die Wunde einfach nur höllisch weh. Mama hat die Wunde versorgt und

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