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Leute, die Liebe schockt

Titel: Leute, die Liebe schockt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
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auch mal was mit Johannes hatte. Oder ob sie es moralisch verwerflich fand, dass ich mit Johannes rummache, obwohl ich mit Arthur zusammen bin. Wir haben da nie drüber gesprochen, weil ich Angst vor ihren Vorwürfen hatte. Mir war ja klar, dass ich Mist gebaut hatte.
    In jedem Fall sah Alina wie immer wie der letzte Waldschrat aus, mit ihren hochgestellten, schwarz gefärbten Haaren. Ich muss nicht sagen, dass sie total auf Tokio Hotel abfährt, wobei sie langsam echt aus dem Alter raus sein sollte. Aber Alina meint: »Die Jungs sind so was von dark.« Damit will sie cool rüberkommen. Aber ich könnte mich innerlich einfach nur totlachen. Alina ist das meistbehütete Mädchen aller Zeiten. Die muss um sieben Uhr abends zu Hause sein. Wie auch immer. Ich habe trotzdem noch nicht in den Plastikbecher gepinkelt und langsam tun mir echt die Oberschenkel weh. Die brennen richtig, weil ich ja in der Abfahrts-Ski-Position über der Kloschüssel hänge. Leute, das wird heute nichts mehr mit dem Pinkeln. Ich muss es leider so sehen. Von draußen drücken die Patientinnen schon die Klinke hektisch rauf und runter und klopfen und rufen mit besorgten Stimmen: »He, alles in Ordnung da drinnen?«
    Ich rufe zurück: »Ja, alles klar.«
    Ich könnte ausrasten. Ich mag es nämlich überhaupt
nicht, bedrängt zu werden. Ich mag es einfach nicht. Damit kann ich ganz schwer umgehen. Davon kriege ich schwerste Depressionen. Ist wirklich wahr. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wenn jemand etwas tut, wodurch meine Freiheit eingeschränkt wird, drehe ich innerlich durch. Um mich zu beruhigen, ziehe ich meine Hose hoch, wasche mir die Hände und schiebe den Becher ohne Urin in das dafür vorgesehene Schränkchen. Dann mache ich die Tür auf und stelle mich der breiten Öffentlichkeit. Ich lächle und quetsche mich eilig an den wartenden Frauen vorbei ins Wartezimmer zu den gelangweilten Männern, die uns Frauen die Sitzplätze wegnehmen. Da hocke ich mich auf einen roten Sitzsack, der eigentlich für die Kleinsten gedacht ist, und begebe mich in die innere Emigration. Das Thema hatten wir gerade im Deutschunterricht. Das bedeutet, dass man sich nicht mehr mit der Außenwelt verbindet, weil man die zu bescheuert findet. Das haben früher die Schriftsteller während des Dritten Reichs gemacht, als sie die Lage politisch echt fragwürdig fanden, ihre Ansichten aber nicht äußern durften, um nicht selbst verfolgt zu werden.
    Ich sitze rum, und mir fallen hundert Sachen ein, die ich jetzt lieber machen würde. Zum Beispiel, zu Johannes fahren und mit ihm auf seiner Matratze liegen und über die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft reden. Oder darüber, ob es unmoralisch ist, zwei Männer gleichzeitig zu lieben. Ich meine, es gibt viele Themen, die man besprechen könnte. Auch, was Kunst überhaupt ist. Ob Schule tatsächlich notwendig ist oder nicht jeder Mensch selbst die Verantwortung trägt, sich weiterzubilden. Oder, ob man heute noch fliegen sollte, wegen des hohen Kerosinverbrauchs.
Oder ob man lieber die Ferien in der Heimat verbringt, ohne jemals die Welt kennenzulernen. Oder aber, ob der Staat nur noch komplette Weltreisen erlauben dürfte, da auf diese Weise ein Rundtrip möglich ist und nicht überflüssige Zickzackflüge absolviert werden, die unsere Umwelt endgültig zerstören.
    Oder aber, ich könnte bei Arthur auf dem Hochbett sitzen und ihn fragen, ob er mir noch böse ist, dass ich auf besagter Party mit Johannes geknutscht habe. Damals hat Arthur die Angelegenheit einfach weggewischt. Er hat cool gemeint: »Wenn du es brauchst, Lelle.« Ich habe geheult und gesagt: »Ich schäme mich so.« Und das stimmte. Ich habe mich richtig krass geschämt. Vor Arthur, weil er so etwas niemals machen würde. Und ich habe mich vor mir geschämt, weil ich dachte, dass ich so etwas niemals machen würde: einen anderen zu hintergehen. Und jetzt denke ich schon wieder darüber nach, Arthur zu hintergehen. Ich will es natürlich nicht, aber ich weiß nicht, für wen ich mich entscheiden soll. Ich weiß ja nicht mal, warum ich mich entscheiden soll. Man kann doch zwei Männer lieben. Oder nicht? Man darf sie nur nicht hintergehen. Wie soll das bitte klappen? Eine offene Beziehung führen? Das ist mir zu riskant. Dann könnten Arthur und Johannes ja ebenfalls darauf kommen, sich noch eine zweite Freundin zuzulegen. Nee, danke. Damit würde ich nicht klarkommen. Ich will meine Jungs nicht mit anderen Mädchen teilen. Leute, mir bleibt nichts

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