Leute, die Liebe schockt
mich ordentlich angeschimpft. Sogar Papa hat geschimpft, obwohl der sich normalerweise aus solchen Sachen raushält. Der mag nämlich keine Probleme. Der geht dann immer in den Keller und putzt Schuhe, bis der Lappen dampft.
Wie auch immer. Mein Herz klopft, ich schlage die Beine übereinander und versuche, ruhig zu bleiben. Ich weiß nicht, was zu tun ist. Ob ich mich bemerkbar machen sollte. Schließlich ist dieser total gestörte Samuel dabei. Den kann ich so was von gar nicht leiden. Das ist ein echter Volltrollo. Der macht Freestyle-Fighten und meint, er sei der Ober-Hip-Hopper. Der rappt nonstop ganz schlechte, selbst verfasste Texte rum und raucht ständig einen Joint. Außerdem verzapft er dauernd Vollkatastrophen. Zum Beispiel wirft er mal eben auf die Windschutzscheibe von vorbeifahrenden Autos Bierflaschen und wird fürs Protokoll aufs Polizeipräsidium gebracht. Vor Kurzem war die Gerichtsverhandlung, wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr ist er zu Sozialdienst verdonnert worden. Ich weiß gar nicht, wo er den ableistet. Aus dem wird nichts mehr. Das ist ein klassischer ADS-Patient. Der kann seine Gliedmaßen nicht still halten. Der muss die ganze Zeit rumzappeln oder einen mit Kaugummi bespucken, weil er das witzig findet. Ich sage euch: Der Typ hat eine Vollschramme.
Aber Johannes meint: »Er hat ein gutes Herz.« Na, wenn er meint.
Ich beobachte die beiden und in mir klumpt sich vor Nervosität alles zusammen. Wie gesagt: Ich will nicht gesehen werden! Wenn ich wenigstens einen Kaugummi hätte. Und dann dehnt sich in mir schon wieder diese unsagbare Liebe aus. Leute, ich liebe Johannes. Ich liebe ihn über alles, und ich könnte den Boden lecken, auf dem er geht. Also, symbolisch gesprochen. In Wahrheit würden mich keine zehn Pferde dazu bringen, den Boden der U-Bahn abzulecken, so viel ist mal klar. Würg.
Ich blinzle zu Johannes rüber und seine hellblonden Haare hängen ihm vor dem Gesicht und dahinter sehe ich sein breites Lachen mit den geraden weißen Zähnen. Ich frage mich nur, was er zu lachen hat, obwohl ich mich von ihm wegen Arthur getrennt habe. Tztztz. Offenbar scheint er drüber weg zu sein. Ich meine, hinterher liebt er mich nicht mehr und hat längst eine andere! Auf den Gedanken bin ich ja noch gar nicht gekommen! Ich will es besser nicht wissen. Ich will es nicht wissen. Ich meine, Leute! Seht ihn euch an, wie er sich mit beiden Händen oben an der Haltestange festhält, sodass sein T-Shirt hochrutscht und ich seinen nackten Bauch sehen kann. Ich sterbe. Er ist so schön! Besser, ich verdünnisiere mich. Ich muss ihn vergessen. Ich brauche Ordnung in meinem Leben. Definitiv. Schon allein aus Verpflichtungsgefühl gegenüber Mama, der Schule und Arthur und Cotsch und dem Baby. Ich mache mich ganz klein auf meinem Stuhl, so als hätte ich tierische Magenkrämpfe.
Und dann, als Johannes seine Haare zurückwirft, bleiben
seine grünen Augen plötzlich an mir kleben. Sein Lachen verschwindet. Sein Mund bleibt offen stehen und er guckt mich nur an, wie ich da mit übergeschlagenen Beinen kauere und ihn ansehe. Als er einigermaßen begriffen hat, dass ich es tatsächlich bin, macht er seinen Mund zu und kommt langsam den Gang herunter, indem er sich rechts und links im Wechsel an den Stangen festhält. Ich richte mich wieder auf und zupfe mir meine Haare zurecht.
Schließlich steht er vor mir und sieht auf mich runter. »Elsbeth …«
Ich hebe die Hand cool zum Gruß. »Was geht?«
Johannes lässt sich mir schräg gegenüber auf den freien Platz fallen und lehnt sich zurück. Er sieht mich nur an, dabei steckt er seine Hände in die engen Jeanshosentaschen und nickt so ein bisschen rum. »Wow …« Er nickt weiter und holt tief Luft. Ich ziehe die Augenbrauen hoch, weil ich nicht genau weiß, was er mir damit sagen will. Doch anstatt ins Detail zu gehen, sagt er einfach nur wieder: »Wow …«
Und ich: »Was?«
Johannes räuspert sich und beugt sich nach vorne, wobei er seine Ellenbogen auf den Knien abstützt und ich schon wieder seinen speziellen Johannesduft riechen kann. Leute, ich hätte gerne einen Kaugummi.
Er murmelt: »Ich habe ganz einfach nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen, und gleich kommen eine ganze Menge Gefühle hoch, von denen ich froh war, dass ich sie irgendwie mühsam verdrängen konnte.«
Ich versuche, mich ganz entspannt zu geben, und halte mir unauffällig die Hand vor den Mund, falls ich Mundgeruch
habe. Könnte ja sein. Ich habe,
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