Leute, die Liebe schockt
zieht?«
»Hä? Wieso?«
»Na ja, damit sie sich hier auf ihre mündlichen Prüfungen vorbereiten kann.«
»Ich denke, das macht sie mit Helmuth …«
»Ja, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie … wie … wie … helle Helmuth ist und ob das zwischen den beiden gut geht. Hinterher streiten sie sich die ganze Zeit und dann verliert Constanze ihr Kind und dann wird sie das nicht verkraften und gerät auf die schiefe Bahn. Und ich war so froh, dass sie zumindest aus dem Gröbsten raus ist, und Papa hockt auch nur in seiner Steuerkanzlei oder unten im Keller. Gott, wie ich diesen Gipsklumpen hasse! Am liebsten würde ich ihn im Klo runterspülen.«
»Wen? Papa?«
»Nein, den Gipsklumpen.«
»Ach so. Ich dachte schon.«
Mama streckt sich und fällt gleich wieder in sich zusammen. »Und wenn ich mal was wegen Constanze mit Papa besprechen will, meint er nur: »Nun mal nicht den Teufel an die Wand.«
Exakt den gleichen Tipp könnte ich Mama auch geben. Die neigt dazu, sich Horrorszenarien auszudenken. Voll krass, was die an Unglück in einen Satz packen kann. Ich streiche ihr über die Schulter und den Rücken und sage: »Mach dir keine Sorgen, Helmuth ist super, auch wenn er wirklich nicht der Hellste ist. Cotsch muss jetzt allein entscheiden, was für sie und das Kind richtig ist. Du kannst sie nur unterstützen. Außerdem wohnt Alina jetzt in ihrem Zimmer, schon vergessen?«
Mama schüttelt traurig den Kopf. »Ich wünschte, Papa würde sich mal ein bisschen mehr zuständig fühlen.«
Ich klopfe Mama auf die Schulter und sage: »Auf der Fahrt zum Konzert rede ich mit ihm, okay?«
»Danke.«
Mama lächelt tapfer und in ihren Augen glänzen Tränen. Gerade fühle ich mich, als wäre ich Mamas Mutter. Darum ziehe ich sie gleich mal mütterlich an mich und erinnere mich plötzlich, wie viel Liebe Mama mir und Cotsch mein ganzes Leben lang geschenkt hat. Sehr, sehr viel. Ständig hat sie uns in die Arme genommen, uns geküsst und gestreichelt und mit warmer Stimme mit uns gesprochen. Ich umarme sie noch fester, um ihr all die Geborgenheit zurückzugeben, und dann weint Mama richtig los. Um ehrlich zu sein, könnte sich Papa wirklich etwas mehr zuständig fühlen. Immer macht der mit seinen Quittungen rum oder geht seinem Bildhauerhobby nach. Oder er putzt Schuhe. So klappt das nicht. Das muss sich ändern. Der muss mal verstehen, dass er als Vater auch seine Verantwortung hat und nicht nur das machen kann, wozu er Lust hat. Na gut, er verdient das Geld, aber ich weiß, dass Papa nichts lieber macht, als
Quittungen zu sortieren und es mit Tricks zu schaffen, die Steuerabgaben zu minimieren, bis der Staat kaum noch was kriegt. Darin ist Papa große Klasse und darum lieben ihn seine Kunden und laufen ihm die Bude ein. Mama schnieft und wischt sich mit dem Unterarm über die verquollenen Augen. Dann meint sie mit belegter Stimme: »Außerdem verstehe ich nicht, was du da mit Arthur und Johannes treibst.«
Ich tue überrascht. »Was meinst du?«
»Na ja, du kannst Arthur doch nicht so abservieren. Der merkt doch, dass was nicht stimmt.«
Jetzt werde ich aber bockig. »Was soll das denn jetzt? Immerhin ist er auch einfach nach Afrika gegangen. Da habe ich auch nichts gesagt.«
»Aber er war dir nie untreu.«
Ich atme tief ein und gucke zum Fenster rüber. Dahinter kratzen die Äste der Rosenbüsche über das Glas. Und die Abendsonne bricht orangerot und warm durch die Zweige.
»Ich weiß eben nicht, wie ich mich entscheiden soll«, sage ich.
Mama seufzt. »Pass einfach nur auf, dass du niemanden verletzt und du die Schule darüber nicht vergisst.«
Mama versteht die Kunst, alle Problemfelder auf einmal anzusprechen, sodass man kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht. Okay, Leute, ich bin nicht wirklich gut in der Schule. Könnt ihr euch ja denken. Ich mag nicht, wenn man nur stupide Stoff lernen muss. Ich will nach meiner Meinung gefragt werden. Außerdem mögen die Lehrer nicht, wenn ich mich bei den Arbeiten nicht an die Aufgabenstellung halte, sondern eher philosophisch
gefärbte Texte abgebe, die nur ungefähr was mit dem Unterrichtsstoff zu tun haben. Damit können die nichts anfangen, weil die nicht wissen, wie sie meine Leistung bewerten sollen. Dafür sind die geistig nicht beweglich genug. »Das muss man aber sein«, sagt Arthur. »Sonst geht die Welt irgendwann an Beschränktheit und Oberflächlichkeit zugrunde.« Arthur sagt: »Es ist eine Frage der Ethik. Sich selbst, den Menschen und der
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