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Leute, mein Herz glueht

Titel: Leute, mein Herz glueht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
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anderer Leute zu kümmern. Meine haben dich nämlich nie interessiert.«
    »Stimmt doch gar nicht.«
    Papa schüttelt den Kopf und stiert auf seinen krümeligen Teller, wobei er sein Brotmesser fest umklammert. Herrlich. Meine Eltern haben es wieder einmal geschafft. Wenn sie sich jetzt nicht sofort zusammenreißen, gibt das einen astreinen Streit, an dessen Ende Papa volle Pulle auf den Tisch haut und zu seinen Schuhen runterrennt. Erst in einer Woche wird er überhaupt wieder bereit sein, mit Mama ein Wort zu wechseln.
    Und da sie die Situation offenbar genauso einschätzt wie ich, atmet sie tief ein, schüttelt ihre Haare nach hinten und meint bemüht freundlich: »Elisabeth kann sich doch auch selbst genügen. Sie könnte ganz gemütlich ihr Brötchen essen, danach in ihr Zimmer gehen und an ihren Skulpturen arbeiten. Und irgendwann wird Arthur schon wieder auftauchen.«
    Papa zieht die Luft durch den Mund ein und glotzt an uns vorbei in seinen herbstlichen Garten mit dem frisch gemähten Rasen. Er murmelt: »Tja, so kann man die Sache natürlich auch sehen. Aber wo bleibt da die Leidenschaft?«
    Mensch, Mensch, Mensch, Leute. Mir scheint, inzwischen geht es hier gar nicht mehr um Arthur und mich, sondern nur noch um Mama und Papa. Oder um Partnerschaft an sich? Das wird mir jetzt fast ein bisschen zu intim, das Ganze.
    Ich stehe also besser auf und verkünde: »Ich gehe mal rüber zu Arthur und gucke, was er macht.«
    Papa und Mama glotzen mir hinterher, als hätte ich ihnen eröffnet: »So, Leute, ich fliege jetzt zum Mond.« Und bevor noch jemand das Wort erheben kann, sprinte ich eilig raus in den Flur und ziehe mir im Windfang meine Jacke über.

    Draußen hat es schon wieder zu regnen begonnen, und ich bin wirklich froh, dass ich es nicht weit habe. Ich schlurfe unseren schmalen Vorgartenweg runter und dann nebenan den schmalen Vorgartenweg wieder hoch, bis zu Arthurs maroder Haustür. Er sollte sich wirklich mal drum kümmern, dass die frisch lackiert wird. Sonst hetzen die Nachbarn ihm noch die Bürgerinitiative auf den Hals. Ich knie mich auf den Fußabtreter, hebe die Briefklappe an und sehe in sein leeres Haus rein. Ich kann bis runter in den armselig bepflanzten Garten sehen, der Parkettboden spiegelt, im Wohnzimmer steht nicht ein Stuhl. Nachdem Arthurs Eltern tot waren, hat er alle Möbel abholen lassen. Bis auf sein Hochbett. Sein Vater war Polizist, doch eines Tages hat er seinem Partner versehentlich in den Kopf geschossen. Und weil er das nicht verkraften konnte, hat er sich ebenfalls in den Kopf geschossen. Und weil Arthurs Mutter das wiederum nicht verkraften konnte, ist sie krank geworden und bald darauf gestorben.
    Plötzlich war Arthur ganz allein in dem großen Haus. Ich erinnere mich noch genau, wie Papa, bevor wir Arthur richtig kennengelernt haben, meinte: »Der nimmt Drogen! Der raubt uns die Bude aus, wenn wir im Urlaub sind.« Nur weil er lange Haare hat. Aber wenn einer auf der Welt noch nie Drogen genommen hat, dann ist das definitiv Arthur. Er ist der aufrichtigste, vernünftigste und ehrlichste Mensch, den ich je getroffen habe. Ich meine, er hat in seinem Leben richtig viel durchmachen müssen. Genau wie ich. Darum passen wir auch so gut zusammen. Na ja, und dann hat er Mama eines dämmrigen Abends mit seinem Moped über den Haufen gefahren, als sie mal wieder auf der Suche nach Cotsch war. Plötzlich hat es an der Tür geklingelt und Arthur stand davor, mit Mama auf dem Arm. Ihre Arme und Beine hingen kraftlos nach unten. Zuerst dachte ich, Mama ist tot. Doch dann hat sie ganz leise gemurmelt: »Legt mich aufs Sofa.« Sie hatte eine kleine Schürfwunde auf der Stirn und Arthur hat sie, wie seine Braut, über die Türschwelle getragen und im Wohnzimmer aufs Sofa gelegt.
    Das war der Beginn unserer großen Liebe.
    Eineinhalb Jahre ist das jetzt her, und ich dachte immer, dass Arthur meine einzige Liebe bleiben würde. Nun hocke ich hier, auf dem feuchten Fußabtreter, und glotze in sein Haus, so wie ich in den letzten Monaten öfter mal in sein Haus geglotzt habe, um den restlichen Duft von ihm einzuatmen und mir vorzustellen, er läge da auf seinem Hochbett und schliefe. Ganz in meiner Nähe.
    Gerade als ich die Briefklappe wieder runterlasse, höre ich hinter mir dieses altbekannte Quäken:
    »Was machst du da?«
    Leute, es ist schon wieder die anhängliche Alice. Diesmal zu Fuß, dafür mit Susanna und Rita im Schlepptau. Offenbar haben die im Leben nichts zu tun. Wie die

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