Level 4 07 - 2049
gerade im Begriff, auf die Frage zu antworten, als der Onkel wie ein Geist aus dem Nichts auftauchte.
»Schnauze!«, herrschte er den Roboter an, der daraufhin sofort schwieg. »Hier!«, rief er den Kindern plötzlich zu und warf etwas durch die Luft. Frank fing es auf: einen neuen Anzug.
»Umziehen!«, befahl der Onkel und verteilte die restlichen Anzüge, die er noch auf dem Arm hielt, an die Kinder.
Alle begriffen sofort, dass diese Anzüge sich der Satelliten-Peilungder Wachmannschaften entziehen würden, und schlüpften ohne zu murren hinein.
»Es sind nicht die neuesten«, entschuldigte sich der Onkel, »aber sie tun ihre Dienste.« Sie saßen ähnlich bequem wie die vorherigen und sahen sogar noch etwas besser aus.
Als endlich auch Thomas – natürlich wieder als Letzter – angezogen war, waren sie bereit zum Aufbruch.
»Dann los!«, rief der Onkel tatenfroh.
Jennifer erkannte allerdings an seiner Miene, dass er bei weitem nicht so sorglos war, wie er tat. Zum wiederholten Male fragte Jennifer sich, wieso sie das Gefühl nicht loswurde, den alten Mann sehr gut zu kennen.
Niemand sah, wie Thomas kurz vor dem Hinausgehen noch etwas aufhob und in eine seiner unsichtbaren Taschen steckte.
Unverwundbar
Der alte Mann wirkte angespannt. Seine Hand zitterte, als er die Ausgangstür vom Treppenhaus berührte. Er war nervös. Das konnte er nicht verbergen. Jennifer ahnte, dass sie sich in erheblich größerer Gefahr befanden, als er ihnen bisher mitgeteilt hatte. Immerhin: Sie und ihre Freunde wurden weltweit gesucht. Auf sie war eine Belohnung von zwei Millionen Weltdollar ausgesetzt. Die privaten Wachdienste hetzten sie wie eine Meute und gleich sollten sie vor rund sechs Milliarden Menschen erzählen, dass sie keine echten Menschen waren, sondern lediglich künstlich geschaffene Figuren, denen man ihre eigenen, fünfzig Jahre alten Gedanken eingespeist hatte. War das nicht alles schon furchtbar genug? Was konnte noch Schlimmeres folgen?
»Also dann!«, sprach der Onkel in ernstem Ton zu ihnen. »Wie gesagt: Wir gehen zügig, aber nicht hastig. Unauffällig und normal, als wären wir bei einem Einkaufsbummel kurz vor Ladenschluss.«
»Was ist denn ein Ladenschluss?«, fragte Kosinus dazwischen.
Der Onkel winkte ab. »Das wäre jetzt zu kompliziert, dir etwas über starre und höchst alberne Gesetze zu erzählen, die es früher einmal gegeben hat, Kosinus. Du weißt auch so, was ich meine.« Mit eindringlicher Miene wandte er sich wieder an Jenniferund ihre Freunde. »Wenn irgendetwas schief geht, dann wisst ihr Bescheid!«
Jennifer nickte, ebenso wie die anderen. Der alte Mann hatte ihnen eindringlich erklärt, was sie dann zu tun hatten.
Jennifer mochte sich nicht gern an diese Ausführungen erinnern. Sie hatte sie als zu abenteuerlich empfunden und hoffte sehr nicht ausprobieren zu müssen ob alles der Wahrheit entsprach, was der Onkel ihnen erzählt hatte. Bei jedem anderen hätte Jennifer sich nur an die Stirn getippt und ihn für verrückt erklärt. Aber dann war wieder dieses Gefühl aufgetaucht, als ob sie den Alten schon fünfzig Jahre kannte und ihm blind vertrauen konnte.
Der alte Mann öffnete die Tür und einer nach dem anderen huschte flink in das Menschengewimmel, welches hier unten durchgängig herrschte. Es gab keine Rushhour mehr, keinen Berufsverkehr, weil Millionen Menschen ohnehin zu Hause arbeiteten. Und diejenigen, die noch in einem Unternehmen physisch anwesend sein mussten, machten dies zu jeder Tages- und Nachtzeit – je nachdem, wie es die Arbeitsabläufe des Unternehmens und die persönlichen Bedürfnisse des einzelnen Mitarbeiters erforderten. Schon vor Jahrzehnten hatte man die sinnlosen bürokratischen festen Arbeitszeiten aufgegeben, die nur dafür sorgten, dass morgens und abends immer alle in dieselbe Richtung unterwegs waren und stundenlang in irgendwelchen Staus standen. Die Wartezeiten, die qualifizierte Arbeitskräfte täglich damit verbrachten, dumpf im Autozu sitzen und darauf zu hoffen, dass es einen halben Meter voranging, summierten sich am Ende eines Monats zu Millionen vergeudeter Arbeitsstunden und Milliarden verschwendeter D-Mark , nur weil einige Verantwortliche zu einfallslos waren, Arbeitsprozesse flexibler zu gestalten.
Solche Idiotie gehörte schon lange der Vergangenheit an. Allerdings gab es mittlerweile so viele Menschen in der Stadt, dass rund um die Uhr an der Erdoberfläche und unterhalb der Erde, auf den Straßen, in der Luft und in den
Weitere Kostenlose Bücher