Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
aber normalerweise hörte er nur zu. Im Laufe der Stunden und Tage schälten sich zwar keine verständlichen Aussagen, aber immerhin gewisse Strukturen heraus. Manche Stimmen, die von der sterbenden Station abgespielt wurden, wiederholten sich – es waren Ansager und Künstler, die im AudioArchiv vermutlich besonders stark vertreten waren. Auch was die Musik anging, er hatte kein besseres Wort dafür, ergaben sich gewisse Tendenzen. Nach mehreren Stunden sinnlosem Rauschen konzentrierte Eros sich immer wieder einmal auf ein Wort oder einen Satz und verbreitete ihn häufiger und energischer, bis das Gefüge zerbrach und die willkürlichen Geräusche wieder die Oberhand gewannen.
»… bist, bist, BIST, BIST, BIST …«
Nein, ihr seid nichts , dachte Miller. Abermals ruckte das Schiff, und Miller hatte das Gefühl, sein Magen sei einen halben Meter neben der richtigen Stelle zurückgeblieben. Dann folgte ein lautes Klappern, und schließlich ertönte eine Sirene.
»Dieu! Dieu!«, rief jemand. »Bomben son vamen roja! Die jagen uns in die Luft, die machen uns alle kaputt!«
Es gab ein höfliches Kichern wie schon öfter während der Reise, wenn jemand es gesagt hatte. Der Junge, der den Spruch geprägt hatte – ein pickeliger Gürtler von höchstens fünfzehn Jahren –, grinste erfreut über die Anerkennung. Wenn er mit diesem Unfug nicht aufhörte, würde ihm irgendjemand eine Brechstange über den Schädel ziehen, ehe sie nach Tycho zurückgekehrt waren. Miller fand aber, dass er es nicht unbedingt selbst tun musste.
Ein starker Ruck drückte ihn fest auf die Liege, und dann war die Schwerkraft wieder da, vertraute 0,3 G. Vielleicht ein wenig mehr. Der Pilot hatte das Schiff mit Fanghaken auf der Oberfläche des rotierenden Asteroiden verankert. Die Schwerkraft, die durch die Rotation entstand, verwandelte die Decke in den Boden, die untersten Reihen der Liegen waren jetzt oben, und wenn sie die Fusionsbomben in die Docks einbauten, mussten sie auf einem kalten, dunklen Felsklotz umherklettern, der sie ins Vakuum schleudern wollte.
Die Freuden des Saboteurs.
Miller legte den Raumanzug an. Nach der hervorragenden militärischen Ausrüstung auf der Rosinante waren die zusammengestückelten Sachen der AAP wie Kleidung aus dritter Hand. Der Anzug roch nach einem fremden Körper, das Visier aus Mylar war uneben, weil es gerissen und geflickt worden war. Er vermied es, näher über das Schicksal des armen Kerls nachzudenken, der es vorher getragen hatte. Die Magnetstiefel waren von einer dicken Schicht von halb zersetztem Plastik und altem Dreck bedeckt. Der Auslösemechanismus war so alt, dass Miller das Klicken, wenn er den Fuß bewegte, im ganzen Anzug hören konnte. Er stellte sich vor, wie sich die Stiefel auf Eros verankerten und ihn nie wieder weggehen ließen.
Über diesen Gedanken musste er lächeln. Du gehörst zu mir, hatte seine eingebildete Julie gesagt. Es entsprach der Wahrheit, und jetzt war er hier und spürte mit absoluter Gewissheit, dass er nie wieder weggehen würde. Er war viel zu lange ein Cop gewesen, und die Vorstellung, sich von Neuem auf die Menschheit einlassen zu müssen, erschöpfte ihn schon, bevor er es überhaupt versucht hatte. Er war hier, um den letzten Teil seines Jobs zu erledigen, und dann war er fertig.
»Oi, Pampaw!«
»Ich komme schon«, erwiderte Miller. »Nun mach mal nicht die Pferde scheu. Die Station läuft uns nicht weg.«
»Ein Regenbogen ist ein Kreis, den man nicht sieht. Nicht sieht. Nicht sieht«, sang Eros mit einer Kinderstimme. Miller drehte die Lautstärke des Feeds herunter.
Die felsige Oberfläche des Asteroiden bot den Magnetstiefeln und den Kränen nicht viel Halt. Zwei weitere Schiffe waren auf den Polen gelandet, wo es keine Zentrifugalkraft gab, doch die Corioliskraft würde auch diesen Teams Übelkeit bereiten. Millers Gruppe musste sich an die frei liegenden Metallplatten des Docks halten. Sie klebten wie die Fliegen daran und blickten in den von Sternen erleuchteten Abgrund.
Es war keine leichte Aufgabe, die richtigen Positionen für die Fusionsbomben zu finden. Wenn sie nicht genügend Energie in die Station abgaben, kühlte die Oberfläche möglicherweise stark genug ab, und jemand anders konnte ein Team von Wissenschaftlern absetzen, ehe die Sonne den Asteroiden und die Teile der Nauvoo , die noch mit ihm verbunden waren, verschlang. Obwohl die klügsten Köpfe von Tycho darüber nachgedacht hatten, bestand immer noch die Möglichkeit,
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