Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)

sonst noch etwas? Sollte da nicht noch mehr sein? Vielleicht eine Nachricht an Havelock? Oder an Muss. Oder an Diogo und dessen Freunde bei der AAP. Ihm fiel nichts ein, was er sagen konnte.
    »In Ordnung«, schloss Miller. »Das war es dann. Es war gut, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
    »Es tut mir leid, dass es so enden muss«, entgegnete Holden. Es war keine Entschuldigung für das, was er getan oder gesagt hatte, für seine Entscheidungen für und gegen irgendetwas.
    »Ja«, erwiderte Miller. »Aber was will man machen?«
    Das kam einem freundschaftlichen Abschied so nahe, wie es zwischen ihnen überhaupt möglich war. Miller trennte die Verbindung, rief das Programm auf, das Naomi ihm geschickt hatte, und aktivierte es. Da er schon einmal dabei war, schaltete er auch den Eros-Feed wieder ein.
    Ein leises Rascheln, als strichen Fingernägel über ein unendlich langes Blatt Papier. Er schaltete die Lampen des Karrens ein, vor ihm erschien der Eingang von Eros in dunklem Industriegrau, Schatten flohen in die Ecken. Er stellte sich vor, Julie stünde in dem Scheinwerferlicht wie auf einer Bühne, und die Lampe erfasste zugleich sie und alles, was hinter ihr lag. Die Überreste eines langen Traums, der sich nun dem Ende näherte.
    Er löste die Bremsen, schob an und drang zum letzten Mal nach Eros ein.

51 Holden
    Holden wusste, dass Menschen für kurze Zeitspannen extrem hohe G-Belastungen überstehen konnten. Unterstützt von entsprechenden Sicherheitssystemen hatten professionelle Draufgänger Beschleunigungen von mehr als fünfundzwanzig G ertragen und überlebt. Der menschliche Körper konnte sich verformen und mit dem weichen Gewebe Energie absorbieren. Die Wucht von Einschlägen wurde auf eine größere Fläche verteilt.
    Bei länger anhaltenden Belastungen bestand das Problem jedoch darin, dass der ständige Druck auf das Kreislaufsystem zuerst die schwächsten Punkte angriff. Eine dünne Stelle in einer Arterie, die sich erst vierzig Jahre später in ein Aneurysma verwandeln mochte, platzte bereits nach ein paar Stunden unter sieben G auf. Aus den Kapillargefäßen der Augäpfel sickerte Blut. Das Auge verformte sich und wurde manchmal dauerhaft geschädigt. Dann die Hohlräume wie die Lungen und der Verdauungstrakt. Wenn die Schwerkraft zu stark wurde, kollabierten sie.
    Kampfschiffe manövrierten immer nur für kurze Zeit mit sehr hohen G-Belastungen, und jeder Moment, den man unter Schub verbrachte, vervielfachte das Risiko.
    Eros musste nicht auf sie schießen. Er konnte einfach weiter beschleunigen, bis ihre Körper unter dem Druck explodierten. Auf der Konsole sah Holden, dass es inzwischen fünf G waren, und während er hinsah, wechselte die Anzeige auf sechs. Sie konnten nicht mehr mithalten, Eros würde ihnen entkommen. Dagegen konnten sie nichts tun.
    Trotzdem gab er Alex nicht den Befehl, die Verfolgung abzubrechen.
    Als hätte Naomi seine Gedenken gelesen, erschien eine Textbotschaft mit ihrer ID auf seinem Bildschirm: DAS SCHAFFEN WIR NICHT.
    FRED ARBEITET DARAN. VIELLEICHT MÜSSEN WIR IN REICHWEITE VON EROS SEIN, WENN SIE SICH EINEN PLAN AUSGEDACHT HABEN, antwortete er. Es war bereits eine ungeheure Anstrengung, die Finger nur die paar Millimeter zu bewegen, um die Antwort in die Tastatur einzutippen, die eigens zu diesem Zweck in seinen Sitz eingelassen war.
    IN REICHWEITE FÜR WAS?, fragte Naomi.
    Holden antwortete nicht. Er hatte keine Ahnung. In seinen Adern brannten die Medikamente, die ihn wach und aufmerksam hielten, während der Körper zerquetscht wurde. Die Mittel sorgten sogar dafür, dass sein Gehirn mit doppelter Geschwindigkeit arbeitete, obwohl er nicht einmal richtig nachdachte. Fred würde sich schon etwas einfallen lassen. Viele kluge Leute dachten über das Problem nach.
    Und Miller.
    Miller schleppte eine Fusionsbombe durch Eros. Wenn der Feind technologisch überlegen war, griff man ihn mit so wenig Technik wie möglich an. Vielleicht konnte ein trauriger Detective einen Karren mit einer Atombombe unbemerkt durch die Verteidigungslinien bugsieren. Naomi hatte gesagt, das Virus arbeitete nicht mit Magie. Vielleicht hatte Miller Erfolg und verschaffte ihnen die Verschnaufpause, die sie brauchten.
    Wie auch immer, Holden musste in der Nähe sein, und sei es nur, um es zu sehen.
    FRED, tippte Naomi.
    Holden stellte die Verbindung her. Fred sah ihn an, als unterdrückte er ein Grinsen.
    »Holden«, begann er, »wie geht es Ihnen?«
    SECHS G. REDEN SIE.
    »Also, anscheinend haben