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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Wo war das
noch? Tagung des Komitees? In Watt? Ich
glaube, ja. Mr. Magershon wendet sich also Mr. O'Meldon zu
und sieht Mr. O'Meldon nicht ihn anblicken, wie er gehofft hatte, sondern Mr.
MacStern, in der Hoffnung, Mr. MacStern ihn anblicken zu sehen - und
so weiter und so fort. Die Verrenkungen der Köpfe, die Blicke, die auf
Hinterhäupter, Ohrmuscheln, Nackenhaare, Stehkragen geworfen werden -
schwindelerregend! Worum es den Herren geht, interessiert nicht. Wozu auch, es
ist ja unmöglich, dass etwas Vernünftiges dabei herauskommt.
    Eine
halbrunde Sitz- und Blickordnung allein garantiert natürlich nicht, dass
sorgfältig Recht gesprochen wird. Auf die Richter kommt es an. Wer so ein Amt
ausüben will, muss gelernt haben, seine Leidenschaften zu beherrschen. Du und
ich, Schwester, das merkt man auf Anhieb, beherrschen die unsrigen nicht. Dem
Charme der Verführung darf ein Richter so wenig erliegen wie der Probierlust
des Geistes. Wir sind solchen Verführungen mehr als einmal erlegen und erliegen
ihnen fort und fort. Von lasterhaften Erosdiensten frei, frei von lasterhafter
Provokationssucht, von Nächstenliebe und Vergebung so wenig bezaubert wie von
Rachsucht getrieben: der ist
Richter.
    Umgeben
von einem Rosensaum, der sie von der allgemeinen Sünde trennt, beraten die
Richter des Obersten Gerichts und sprechen ihre Urteile. Ihre Urteile sind
Wohltaten, sie leuchten in der Finsternis. Soll ein Todesurteil wirksam
werden, muss dafür mehr als nur eine Stimme Überzahl in die Waagschale.
    Nein
und abermals nein, wir taugen zu dem Amt
nicht, du nicht, Schwester, mit deinem Hang zu Nachsicht und Vergebung, ich
nicht, mit dem Hammer geboren, allzeit bereit, das Todesurteil zu fordern.
Unsere Herzen sind zu weich und zu roh und waren zu keiner Zeit von jenem sagenhaften
Rosensaum geschützt. In den geheimen Gärten unserer Seele krautet es wild
durcheinander, um jedes Rosenblatt, auf dem Unschuld und Vernunft einträchtig
wohnen, müssen wir ringen. Wider Willen kindisch geblieben, obwohl wir
unentwegt das Gegenteil behaupten, ehren wir unsere Eltern schlecht und finden
kein Maß, sie zu beurteilen, uns zu beurteilen, überhaupt Menschen zu
beurteilen.
    Was
jetzt?
    Immer
noch allein. Zigarette, Sonnenbrille abziehen, Sonnenbrille aufsetzen,
Mäuerchen runter, paar Schritte auf und ab, Mäuerchen rauf.
    Was,
außer der Erinnerung ans Händchenhalten, verbindet uns Schwestern heute?
Bücher. Während sich die Eltern einen Stock tiefer in ihr Elend verbohrten,
schlüpften wir oben in unsere Betten und lasen. Wir lesen nach wie vor, lesen
und lesen, um den allfälligen Zumutungen, die ja immerfort nachwachsen, zu
entgehen. Mit dem Unterschied, dass meine Schwester dickleibige Bücher liebt,
während ich eine flotte Zickzackleserin bin. Gutzkow! Seelenruhig hat sich
meine Schwester durch den kompletten Gutzkow gewühlt; ich verstehe immer noch
nicht, wie sie mit ihren zarten Handgelenken diese Gutzkow-Gewichte
stundenlang in die Höhe gestemmt haben will. Ich hingegen liebe den Wechsel.
Auf einen Ellroy, fies und fett und blutig, Schneewandern mit Stifter. Nach
einem menschenleeren Buch, in dem die Feige in allen ihren Zuständen beleuchtet
wird, ein Menschenwimmelbuch aus Indien.
    Es
gibt noch einen Unterschied. Als wir mit dem Lesen anfingen, kam der Dackel zu
uns ins Haus. Ein Streit entbrannte zwischen meiner Schwester und mir, ob er
mehr zu ihr gehöre oder zu mir, ein Kampf, der leicht zu gewinnen war, wenn
man sich die Verfressenheit des Biests zunutze machte. Natürlich war es
verboten, den Hund mit ins Bett zu nehmen oder ihm heimlich etwas zuzustecken.
Ich fand Wege, den Dackel in mein Zimmer zu schleusen. Und da lag er nun an
meiner Seite, schnarchte und seufzte, während ich das Licht wieder anknipste
und las. Obwohl ich längst keinen Hund mehr besitze, brauche ich im Bett nur
ein Buch aufzuschlagen, und schon fühle ich das warme Dackelohr auf meinem
Handrücken zucken.
    Und
sonst? Was habe ich an meiner Schwester?
    Eine
auf Knopfdruck festlich gestimmte Schwester habe ich. Ein mit allen Wassern
gewaschenes Chamäleon, aber ich sollte mich nicht beschweren, im Falle Tabakoff
habe ich von ihrer Geschicklichkeit profitiert. In puncto Geld ist sie
untadelig, zumindest mir gegenüber. Sie teilt korrekt.
    Komm,
du stille, beladene Nacht, und schütt' all deine Taler in meine Schürze.
    Tabakoff
ist verrückt geworden! Was tut der bloß den lieben langen Tag? Das kann doch
nicht wahr sein, oder? Die Ohrmuscheln

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