Lewitscharoff, Sibylle
aus wie ein Verführer, der gewillt ist, eine
lange Karriere in diesem Fach zu
verfolgen. Mit den Füßen scheint er zu schlenkern, und keine Furcht, etwa nach
hinten zu kippen. Vor ihm ein bulliger Korbkinderwagen, aus dessen Verdeck ich
hervorsehe, neugierig auf den, der da photographiert, aber schon mit der
verdrießlichen Miene eines Menschen, der das Leben nicht liebt. Markisen gibt
es noch keine.
Einen
Pool besaß niemand in der Gegend. Wahrscheinlich das erste private
Schwimmbecken in Stuttgart überhaupt ließ Tabakoff im Garten seines Hauses in
Sillenbuch bauen. Das war kein Handwerkerhaus, wie wir eins besaßen, sondern
ein solides Sandsteinhaus der Jahrhundertwende mit einer respektablen Eingangshalle.
Wir
waren zur Einweihungsparty geladen und sollten unsere Badeanzüge mitbringen.
Auf der Fahrt durch den Wald, am Fernsehturm vorbei, lästerten unsere Eltern über
den bombastischen Kitsch, der uns bei Tabakoffs erwartete. Damals waren sie in
ihren Abneigungen noch vereint. Er gab sich amüsiert, wenn sie Lilo nachmachte
(nee Wehrle, sagte sie dann, woraus, weil wir Kinder es missverstanden, alsbald das Neverle wurde); nee Wehrle also,
das Neverle, das die Satzenden, besonders aber den angeheirateten Namen
unnatürlich hob und in die Länge zog, um ihm ein edles Flair zu verleihen - sie
war die Lieblingszielscheibe unserer Mutter, die es meisterlich verstand, Pfeile
in Richtung ihrer Freundinnen zu verschießen.
Lilo
hatte von Natur aus eine hohe Stimme, war aber bemüht, eine Oktave tiefer und
vor allem gedehnt zu sprechen, was ihre Zuhörer unruhig machte. Sie liebte
längere Sätze, legte nach ein oder zwei Satzteilen eine elegante Abwärtskurve
ein - ein bisschen verschleimt klang das, als wäre sie plötzlich von Grippe
befallen -, um dann unerwartet hoch auf dem Punkt zu enden. Das Sprechen mit
hoher Stimme war verpönt, zumindest bei den Frauen. Es galt als eine Spezialität
der Bulgarinnen. Die Schwäbinnen wurden nicht müde, einander Schauergeschichten
von den Bulgarinnen zu erzählen. Wegen ihres hohen Gekreischs, ihrer spitzigen
Gefühlsäußerungen wurden sie maßlos verachtet, besonders von unserer Mutter,
die viel auf ihre von Natur aus tiefe, vom Rauchen zernagte und verderbte
Stimme hielt.
Eine
fröhliche Atmosphäre herrschte im Haus, etliche Gäste waren schon da,
wahrscheinlich war Tabakoff junior damals noch am Leben, ich erinnere mich
aber nicht an seine Anwesenheit. Wir waren noch ziemlich klein, meine Schwester
konnte schon schwimmen, ich nur an ein Gummitier geklammert herumpaddeln. Mit
aufblasbarem Schwan und Dackel trudelten wir ein. Lilo begrüßte die Gäste in
schwingendem Kleid und Bolerojäckchen, einem Traum in Rosa, Creme, Gelb,
Türkis, mit viel Gold um den Hals und die Handgelenke; uns Kindern fuhr sie mit
perfekten Lacknägeln in die Haare und gab uns jeweils einen Kuss (die einzige
Fremde, von der ich mir so etwas gefallen ließ, meine Schwester nahm solche Überfälle
generell mit Nachsicht hin).
Im
Garten sah's aus wie in Amerika. Hollywoodschaukeln säumten das blaue
Rechteck, verschnörkelte Ziertische standen bereit, ein Teewagen mit Getränken
wurde herausgerollt - von einer Fee in Schürze und Häubchen. Sobald sie sich
umdrehte, sah man eine riesige weiße Schleife, deren Bänder kokett über ihren
Po fielen. Mich begeisterte jedoch der Pudel. Schneeweiß, mit Augen, die wie
schwarze Knöpfe im Fell steckten, und einem fabelhaften Krönchen. Seine Locken
sahen aus wie frisch gebadet und frisch gefönt. Cherie trug ein glitzerndes
Schmuckhalsband und benahm sich derart damenhaft, dass man nicht glauben
konnte, er sei ein Rüde. Da unser Dackel mit Hunden aller Art gut auskam,
durften wir ihn mitbringen. Cherie verbellte ihn jedes Mal erregt und
erzitterte bis in sein Krönchen hinein, mit den Lockenbeinen vollführte er
putzige Ziersprünge. Der Dackel sah ihn ratlos an und wedelte mit dem Schwanz.
Nach zwei Minuten war die alte Bekanntschaft wieder im Lot. Schnacks machte
sich über Cheries Napf her und soff dessen Wasser, dann trieben sie sich im
Garten herum. Ich sehnte mich danach, in ihrem Bund die Dritte zu sein, aber
die Viecher wollten nichts von mir wissen. Trotz der vielen Gäste bemerkte
Lilo meinen Kummer und hob mich - goldrasselnde, süßduftende Königin meines
Herzens, wie vermisse ich dich! - auf ihren Schoß.
Zankoff
saß schon am Pool. In Bademantel, Schlappen und Shorts. Um ihn herum hatte sich
seine unglückliche Familie aufgestellt.
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