Lewitscharoff, Sibylle
Dunkelblaue Blazer mit Goldknöpfen -
darin steckten die Zwillinge, die damals noch keine Internatszöglinge in Salem
waren, aber darauf vorbereitet wurden, es zu sein. In einem feuerroten Kostüm
steckte die Frau. Sie hatte die Hände um den Nacken ihres Mannes gelegt, als
wolle sie ihn massieren oder an Ort und Stelle festwürgen wie zum Beweis, dass
er ihr gehöre. Das war damals keineswegs mehr der Fall. Zankoff wohnte getrennt
von der Familie, in einem Appartement mit seiner Lieblingsnutte, und jeder wusste
das. Die Familie sah er selten, seine Frau hasste er, und man gab ihm darin
recht, obwohl die meisten in einer Mischung aus Neid und Ekel auf ihn
herabsahen.
Zankoff
zeigte mit Vorliebe seine haarige Brust, rauchte Zigarren, pflegte vor Lachen
zu brüllen und sich auf die Schenkel zu schlagen; er aß ungeniert Knoblauch,
und zwar in Mengen, wie die anderen, um ihren Ruf besorgten Bulgaren es sich
niemals erlaubt hätten. Seine Frau galt für durch und durch bösartig, von
Zankoff glaubte man immerhin, dass er auch eine gutmütige Seite habe, obwohl
handfeste Beweise dafür fehlten. Tatsache war, dass er ein Bordell besaß,
welches er von einer Bar aus betrieb. Ansonsten war er ein Hehler, Geld führte
er in dicken Bündeln spazieren, und es war ihm eine Lust, große Scheine in aller
Öffentlichkeit abzuzählen. Kam Tabakoff in seine Nähe, wurde Zankoff nervös.
Eine Gereiztheit überkam ihn, er sprach überlaut, zweifellos weil Tabakoff mehr
Geld hatte und die schönere Frau. Unseren Vater nannte er Doktorchen und benahm
sich ihm gegenüber so, als wäre der sein Herzblatt und er selbst dessen
persönlicher Schutzpatron. Im übrigen schickte er ihm seine Nutten in die
Praxis.
Eines
an Zankoff war jedoch zutiefst merkwürdig, und es sprach sich erst nach seinem
Tod herum, der ihn mit fünfundvierzig erwischte, als er mit seinem Karmann Ghia
an einen Pfeiler knallte. (Er war der zweite Bulgare, der an die Reihe kam.) Im
Wohnzimmer seines Appartements, das weder seine Familie noch seine Freunde je
betreten hatten, war eine komplette Bibliothek mit Werken des neunzehnten
Jahrhunderts eingebaut: Goethe, Schiller, Kant, Hegel, alle großen Namen
standen da in Gesamtausgaben aufgereiht. Von ihm war nicht bekannt, dass er
sich für Bücher interessierte, er konnte ja kaum lesen, mit knapper Not seinen
Namen schreiben. Die Bücher waren aus Holz. Das war aber noch nicht alles. Wenn
man Sendlings Ideen zu einer Philosophie der Natur herausnahm,
eine rostbraune Attrappe mit grünem Schild, die bei näherem Hinsehen aussah wie
mit Schuhwichse eingerieben, zeigte sich dahinter ein Loch, von dem aus man in
Zankoffs Schlafzimmer spähen konnte.
Ein
rotes Deckchen mit Fransen liegt auf dem Tisch, obenauf der Brotkorb. Rumen und
meine Schwester sind wieder da. Wie fürsorglich meine Schwester ist! Gleich hat
sie mir die Schultern gerieben, um mich zu wärmen. Und keine Rede davon, dass
sie ihre Jacke zurückverlangt, obwohl ihr bald kalt sein dürfte.
Damit
uns allen wärmer wird, stelle ich Blondinenvergleiche an. Rumen ist inzwischen
mit der Stuttgarter Bulgarensippe so vertraut, als kenne er sie von
Kindesbeinen an. Meine Schwester arrangiert für unseren Paris eine Dreiergruppe
aus Salzfass, Pfefferfass und dem Ölkännchen, stellt die handelnden Personen
vor wie in einem Kindertheater: Hochgeehrtes Publiko, hier bitte die
Bekanntschaft machen zu wollen mit Zankoffs Frau, mit der Frau, die man unsere
Mutter nennt, und da - bitte Applaus für die allseits beliebte und geschätzte
Dame Neverle!
Seltsame
Mühe, drei tote Blondinen wieder auferstehen zu lassen in ihren seltsamen
Sünden. Noch seltsamer, dass plötzlich so viel von unserer Mutter die Rede ist,
die wir jahrelang überhaupt nicht erwähnt haben.
Wenn
sie von unserem geliebten Neverle spricht, gerät, ganz wie ich, auch meine
Schwester in Ekstase. Sie macht Rumen förmlich das Maul wässrig und füttert ihn
mit dem Zauber dieser Frau, denn die ist ja gar nicht tot, denn die entsteigt
ja geradewegs dem Pool da unten und schüttelt ihre Locken. Erstaunlicherweise
wurde bei ihr alles Künstliche (und sie war künstlicher als die beiden
anderen) sofort wieder zur Natur. Nee Wehrle schien mit rotlackierten Finger-
und Zehennägeln geboren. Alle drei Frauen trugen Dauerwellen, aber nur für
unser Neverle war dies die einzig mögliche, einzig passende Frisur, der sie
klugerweise ein Leben lang die Treue hielt. Was bei Zankoffs Frau wie gelb
angestrichener Beton
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