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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Jetzt wird aber geschlafen, und zwar schnell, schneller
als zum Beispiel das Seilende braucht, um zu verschwinden hinter dem schon in
der Wand verschwundenen Vater.
     
    Bundesverdienstkreuz
     
    Es bringt keine Freude, aus dem Fenster zu starren, die Augen
werden einem dabei dumm, die Landschaft ist öde, die Straße gerade. Die da
vorne sind empörend gut gelaunt, sie zwitschern und kichern und ratschen,
möchte wissen wieso, aber nicht mal das regt mich auf. Alles streift mich nur
noch von weither.
    Keine
Sorgen mehr zu schleppen, fader Zustand des Sich-ausgeärgert-Habens, keinerlei
Tatendurst, keinen Hügel hinauf, keinen Abhang hinunter, hundemüde. Der Kopf
pendelt schlaff auf der Rückenlehne. Ein ausrangierter Kronleuchter mit nur
noch einem Licht, das immerwährend brennt, das liebe, treue Familienhasslicht.
Welches aber im Moment höchstens glimmt mangels Energie und bald auszugehen
droht wegen zunehmender Schlafesschlappheit.
    Wie
vermisse ich Tabakoffs Limousine, mit der wir durch fünf Länder fuhren, dieses
schlaferzeugende Wundergefährt, darin könnte man mich, wie weiland Raymond
Roussel es mit sich hat geschehen lassen, durch die ganze Welt kutschieren, und
ich würde schlafen, tagträumen, auf den Lärm horchen und nicht hinausschauen,
nicht einmal, wenn ich durch ein belebtes Marktviertel gefahren würde, und sei's
das alte Marrakesch zu Hollywoodwunderzeiten; ich würde mich umdrehen und das
Geschrei der Händler genießen und weiterschlafen.
    Allerdings
hatte der schlummernde Roussel (solange sein Geld vorhielt, ein recht heiteres
Genie) den extravaganten Nachbau einer Geburtshöhle mitsamt Bett und
damastbezogenen Plumeaus für sich allein gehabt. Ein an allen Reiseorten
zusammenrennendes Personal sorgte für die Reinheit der Wäsche, für die immer
wieder frisch aufgelegten makellosen Gedecke, für Früchte, schön wie Juwelen,
und sulzfunkelnde Hühnerschenkel. Ich musste die Limousine mit der Schwester
und einer Tüte Gummibären teilen, die meiste Zeit über mit den
Zankoff-Zwillingen, manchmal auch mit Tabakoff. Tabakoff immerhin war kein
Geizkragen, er ließ sich nicht lumpen, das heißt, er ließ die Kühlbox der
Limousine von Station zu Station mit Champagnerflaschen und anderen noblen
Getränken auffüllen. Vom Champagner schütteten die Zankoff-Zwillinge große
Mengen in sich hinein. Ich aber nicht. Ich trinke keinen Champagner, trinke
überhaupt keinen Alkohol mit Ausnahme von Eierlikör, und diese exzentrische
Vorliebe blieb Tabakoff unbekannt, deshalb begnügte ich mich von Zeit zu Zeit
mit einem Glas stillen Wassers oder einer Coca-Cola.
    Im
Prinzip hatte Roussel recht: durch die Welt gefahren werden bei zugezogenen
Vorhängen und niemals aussteigen, um sich etwas anzusehen, das sollte man
nachahmen. Geht nicht, zu wenig Gold im Säckel aus dem Degerlocher Erbe, auch
zu wenig Mut für einen so herrlich schnöseligen Weltverachtungsgestus.
    Hässlicher
Daihatsu, blödes Plastikgeratter. Jetzt wäre eine Händel-Oper willkommen.
Händel führt in andere Gefilde, weg und hoch aus der gewöhnlichen Trübsal,
Händel lässt die Finger noch des Unmusikalischsten heimlich mitdirigieren,
Händel ist ein erstklassiger Fahrbegleiter, Giulio
Cesare in Egitto, wie das wogt und webt, mit hundert Köpfen
gleichzeitig wackelt, dieses flotte Geigenzickzack, hoch- und runtergefiedelt,
eine aufgezwickte kreuzfidele Grillenmusik, genau das Richtige wär's für meine
mürbe Birne.
    Doch
siehe da, das Familienlichtchen glimmt noch. Ein fahles Verlangen nach Vater
wabert durchs Fahrzeug. Im Untere-Mittelklasse-Wagen ist kein Platz für eine
ausufernde Bühne, aber draußen auf der Wolkenbühne, riesig, erhaben, donnerwettrig
wie zu guten alten Olympierzeiten (ich schau' trotzdem nicht hin), wird der
drei Zentimeter hohe Vater ausgestellt. Steht da mit hängenden Armen. Bisschen
Arztgerümpel um den Hals, der Wichtigtuer. Dieser Vater scheint trotz seiner
Winzigkeit etwas zu besitzen, was wir nicht haben, in seinem Besitz hat er so
ein erzbedeutendes Hölderlinnotätchen in Sudelschrift, das er jetzt aus der
Brusttasche gräbt. Wird der verwegene, aus
den Schranken getretene, sich mit Gott zu messen erkühnende, in seinem Riesenschmerz
in und durch sich selbst zermürbte Geist anderswo Licht, Maß und Wahrheit
finden und wie?
    Und
wie, und wie, keucht der Vater, hustet, krümmt sich, fängt sich wieder und
lacht sein lungenloses Lachen, dass man es in allen Himmelsregionen hört. Doch
der Olymp ist

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