Lewitscharoff, Sibylle
weit, wenn auch näher als von Tübingen aus, und Zeus ein Gott,
der pennt und selbst durch knallige Übersetzungen nicht zum Antwortbrüllen
verlockt werden kann.
Wir
passieren große Strommasten, soviel kriege ich mit. Vögel auf den Drähten, unbekümmert
um den Strom, der unter ihren Krallen durchfegt.
Aus
einem der Zankoff-Zwillinge ist ein Energiewirt geworden. Ich habe ungute
Vorstellungen, was ein Energiewirt ist, und wollte es lieber nicht genauer
erfragen. Kaum langten wir auf dem Degerlocher Waldfriedhof an, wurden wir von
den Zankoff-Zwillingen in die Zange genommen. Sie schienen auf uns gewartet zu
haben, zumindest der eine, Marco, der Energiewirt. Wir Schwestern bestiegen
einen der Wagen und setzten uns in Fahrtrichtung, überließen es dem Zufall, wer
sich zu uns gesellen würde, und schon wurde die Türöffnung schwarz von der
Zankoff-Masse, das heißt von Marco, der sich seinem Bruder voran in den Wagen
zwängte.
Zwei
und zwei macht vier, sagte Marco und plumpste auf den Sitz mir gegenüber, einen
drehbaren, elektronisch in die verschiedensten Lagen verstellbaren Sitz, den er
fachkundig, mit der fingerkrabbelnden Neugier eines Kleinkindes ausprobierte,
auf dem er, als er Rückenlehne, Armlehnen, Höhe, Fußteil nach seinen Wünschen
eingerichtet und den Sicherheitsgurt angelegt hatte, halb lag, halb saß: ein
ausgebreitetes Gebilde (männlich? weiblich? geschlechtslos?), vom Gurt und vom
Anzugstoff daran gehindert, über den Sessel zu fließen, ein Gebilde, bei dem
die Halswürste aus dem Kragen quollen und in einen hellen Fleischbatzen
übergingen, auf dem eine kleine Nase sich nur wenig erhob, während der Blick
der tief eingebetteten Augen es mit erstaunlicher Intensität aus dem Fett
schaffte.
Gottlob,
es gab Platz. Aber mir hatte das Schicksal einen schwätzenden Sack als
Gegenüber beschert, der mich nun tagelang verfolgen sollte.
Wer
hett' des denkt, sagte er in seinem lauwarmen Vertraulichkeitsschwäbisch und
meinte damit das unwahrscheinliche Glück, dass wir uns so spät im Leben wieder
begegnet seien. Sogleich drückte er seine Begeisterung aus, dass wir nun volle
acht Tage lang unzertrennlich wären.
Wenn
ich einen Hundertfünfzig-Kilo-Mann sehe, muss ich sofort an die Schwierigkeiten
denken, die das Entsorgen seiner Leiche bereitet. Warum lassen der Lenker der
Welt und sein schlagkräftiges Corps der Engel es zu, dass es derart
ausgewucherte Leiber gibt?
Er
hatte eine schelmische Art, mich als seine Gefangene zu behandeln, indem er mir
die gepolsterte Hand aufs Knie legte. Wir saßen in dem Limousinenschlauch fest,
und wie nicht anders zu erwarten gewesen war, meine Schwester schien es zu
genießen.
Alles,
was von Zwillingsforschern für gewöhnlich behauptet wird, straften diese
beiden Männer Lügen. Der eine fett, der andere dünn. Trotzdem eineiig. Wenn man
genauer hinsah, entdeckte man Ähnlichkeiten, beider Haare von dunklem Blond,
sich aufbüschelnd an den Hinterköpfen, die großen Münder, die winzige Warze in
der Kuhle des linken Nasenflügels, ihre Kurzfingrigkeit. Von Wolfi schien das
gesamte Fettgerüst, das sein Bruder mit Lust aufgebaut hatte und an dem er mit
Liebe weiter baute, wie abgefallen, vielleicht war es ihm auch durch langsames
Wegärgern von den Knochen geschmolzen, was voraussetzte, dass er vorher fett
gewesen war, wovon wir allerdings nichts wussten. War der eine hinter einer
fleischernen Wirklichkeitsfestung verborgen, hatte der andere etwas
grundsätzlich Gegürtetes, etwas, das ins Scharfe, Dünne, Spitzige ging. Sein
nervöses Gesicht schien von garstigen Gedanken umgetrieben, während ein steiler
Hochmut ihm verbot, Blicke an uns zu verschwenden. Als Kinder waren beide dünn
gewesen.
Wolfis
Redeaufkommen blieb gering. Von ihm war kaum herauszukriegen, was er trieb,
wenn er nicht in einer langen Limousine von Stuttgart nach Zürich und von da
aus weiter nach Bulgarien fuhr. Er machte keineswegs den Eindruck, als habe er
uns seit Kindertagen vermisst. Dem Bruder überließ er das Schwätzen, das
Handauflegen mit den Patschepfoten, den lauen Gefühlsdunst, der uns in der
Sicherheit wiegen sollte, wir hätten schon immer zusammen im selben Suppentopf
gehockt.
Eure
Mutter war ja ein sagenhaftes Fraule, enorm tüchtig, sagte Marco, während seine
Finger die Kühlbox bekrabbelten, seit wann ist sie denn tot?
Er
machte einen Laut dazu, so einen grauenhaften Ton zwischen Pfeifen und
Schnalzen, bei dem viel Speichel in Bewegung kam. Ich musste sofort an
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