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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Rest an Verachtung, der noch übrig ist.
    Im
Hotel fühle ich mich schlapp. Ich kann aber nicht ertragen, wenn ein Bein über
das andere zu liegen kommt. Ich kann auch nicht ertragen, wenn sich die Fersen
parallel in die Matratze bohren. Es ist, als sei den Fersen eine widerliche
Hirnverbindung möglich, Blitze und psychedelische Wellen hinter den
geschlossenen Lidern erzeugend. Tabakoff zuckt auf, der gute alte Tabakoff mit
seiner Imponierglatze, und da rapple ich selbst durch mein Hirn, nicht so
bildscharf wie Tabakoff, die Eigenbilderzeugung ist ja immer etwas vage,
trotzdem bin ich's, und zwar mit meinen Krankheitstheorien, die mir so flott
von der Zunge gehen, Eigenhaßtheorien - Schleimbeutelentzündung, hatte
Alexander Gitzin gesagt, er leide unter Schleimbeutelentzündung.
    Schneller,
als ich es vermochte, hatte meine Schwester gehandelt und sich einen neuen
Sitzplatz gesucht. Zu meiner Überraschung hatte auch Marco unserem Wagen ade
gesagt. Nur Wolfi war geblieben. Anstelle der Entflohenen waren Alexander und
Iris eingestiegen.
    Schleimbeutelentzündung,
sagte Alexander.
    Was
ist das für ein Quatsch, fragte ich roh.
    Alexander
deutete auf seinen linken Oberarm.
    Von
Kranken muss man sich fernhalten, sagte ich. Ob man will oder nicht, die
Krankheiten springen auf einen über, und hinter dem Kranken erhebt sich schon
das Meer der Weißkittel und fasst nach ihm. Ein Kranker wird nie gesund, wenn
man ihm Mitgefühl schenkt. Kranke muss man herablassend behandeln, dann rudern
sie sich aus der Misere heraus, weil ihnen kein anderer Ausweg bleibt als Tod
oder Leben.
    Iris
lachte, Alexander war etwas verstimmt, doch siehe da, ein schwaches Lächeln
kroch über Wolfis Gesicht. Ich hatte einen unerwarteten Verbündeten in Sachen
Krankheitsabscheu gefunden.
    Die
Theorie ist natürlich Mist. Meine Person ist der Gegenbeweis. Meiner
Krankenverachtung nach müsste ich erzgesund sein. Aber sie findet mich, diese
Drecksmigräne, es kümmert sie nicht, was ich denke, mir zum Trotz zuckt sie, drückt
und quetscht und sticht hinter den Augen, peinlich peinlich, diese
Theaterkrankheit habe ich nämlich vom Vater übernommen, der war auch so ein
Migränelappen. Rachsüchtige Triebe stecken dahinter, schlagen mit Stahlruten
zu, erzeugen einen perversen Seelenorgasmus, und zack, wird einem eingebleut,
was für ein verlogenes Stück man ist, und zack, wie elend diese ewige
Ich-ich-ich-Schwelgerei, und bitte, öffnet das Grab in meinem Kopf, damit es
ein Ende nimmt mit dieser kümmerlichen Nörgelexistenz, die im Bett sich wälzt
und greint und mit den Zähnen knirscht.
    Bitte
was?
    Je
Mitleid gehabt? Ich höre.
    Keines.
Mit der sterbenden Mutter nicht, mit überhaupt nie einem Menschen, höchstens
mit verwahrlosten Straßenkötern und struppigen Katzen, nicht mal anfassen
konnte ich die Mutter vor lauter Grauen, wer hat ihr die Zehennägel
geschnitten, nicht ich, meine Schwester war's, und deshalb bleibt sie von
Kopfweh verschont, Schwester, die ich hasse mit ihrem leuchtenden
Gesundheitskopf, Fürsorgekopf, Kopf, der alles hat, was ich nicht habe.
    Iris
Sinclair, die einen Amerikaner geheiratet hat, und Alexander Gitzin, das sind
Kinder, wie Eltern sie sich wünschen. Lustige, allzeit bereite, sanftmütige
Kinder. Iris gefällt jedem; eine quicklebendige Intelligenz springt ihr
förmlich zu den Knopflöchern heraus. Ihre rotblonden Löckchen sind elektrisch
geladen. Iris will alles wissen, untersucht alles, sie hat kleine,
zerknitterte, nicht ruhig zu haltende Finger und brachte mit diesen Fingern
eine köstliche Unruhe in unsere Limousine, heiter wurde ich davon und sehnte
mich keineswegs mehr nach einer privaten Schlummerfahrt. Sogar Wolfi taute auf
und begann mit Alexander ein Gespräch über Messebau, was Alexander die Möglichkeit
gab, uns von seiner Firma zu erzählen. Er war stolz auf seinen Erfolg, gewiss,
aber ohne jede Angeberei. Solide an die Dinge des täglichen Lebens geschweißt
- Alexander kam mir vor wie das Urbild eines Schwaben, Haut und Haar
allerdings ins Dunklere geschmolzen als bei den Schwaben üblich. Ich fasste ein
solches Vertrauen zu ihm, dass ich ihn bitten wollte, meine Finanzen zu
verwalten, die Wohnung zu renovieren und einen Plan zu machen, wann ich arbeiten solle, wann essen, Spazierengehen, fernsehen, wann
lesen. Wäre ich Alexander früher wiederbegegnet, er hätte mir einen Rat
gegeben, wie ein vernünftiger Mensch seine Eltern behandelt. Vielleicht hätte
es gewirkt, solange unsere Mutter

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