Lewitscharoff, Sibylle
völlig abgewandt im eigenen Kummer lebte, ins Geldverdienen
verbissen, mit dem Vertreterkoffer für Arzneisachen jeden Morgen um sieben in
den VW gestiegen und abends zu müde, um sich für systematisch betriebene
Provokationen mit Hilfe von Mao Tse Tung zu interessieren, nur für
Straßenkarten, wie komme ich von Weilimdorf nach Tuttlingen, von Doktor
Wilfried Pfleiderer zu Doktor Achim Metzger, was ich ihr längst nicht mehr
verdenken kann.
Die
habe ich auch übersehen. Links, am Rande der Böschung und schon halb verschwunden,
steht was osterinselhaft Kopfiges, das Richtung Meer schaut. Aus Holz. Bestimmt
eine moderne bulgarische Skulptur, ein von Roxy angekauter Riesenprügel, wer
weiß. Den würde ich Roxy zuliebe in meinem Garten auch aufstellen. Der Hund hat
am Terrassenausgang auf mich gewartet und geleitet mich nun zurück, lässt sich
neben mir mit einem tiefen, ergebenen Seufzer, einem Grunzer fast, wie ihn nur
geübte Melancholiker fertigbringen, auf die Steinplatten fallen.
Die
Männer sind noch im Wasser, aber jetzt klingeln Telefone, gleich zwei hintereinander,
und jetzt erst sehe ich, da ist eine kleine Telefonstation am Rande des Beckens
aufgebaut, Halterungen für sechs Telefone, ehrlich, sechs. Saschko nimmt ab,
sagt was, legt den einen hin und nimmt den andern auf, redet her, redet hin,
ich bewundere diese Vielschwätzerei mit verschiedenen Apparaten. Modernes
Zungenreden, eidechsenflink. Mir nicht gegeben.
Rumen
sucht kopfunter die Stille des Wassers. Habe ich erwähnt, dass unser Rumen
trotz schlabbriger Riesenhose im Butterblumendekor gar nicht schlecht aussieht?
Bisschen stämmig zwar, der Mann, die bäuerischen Vorfahren sind noch nicht
herausgezüchtet, und ziemliche Matte vor der Brust, was bei mir keine
Begeisterung hervorruft, aber jetzt mal strikt im Sinne der Kristofolge
betrachtet: der Mann führt sich auf, als wolle er optisch - auf bescheidene
Weise zwar, aber doch irgendwie entschieden - unseren Vater nachahmen. Recht
nett, wie er den Kopf hebt und ihm beim Schütteln das Wasser aus den Haaren
flitzt, wie es einst unserem Vater aus den Haaren geflitzt ist.
Für
christlichen Segen ist auch in diesem Haus gesorgt, wie wir von Saschkos Frau
erfahren. Sie haben sich eine Privatkapelle einbauen lassen, und darin lebt
eine wertvolle Ikone, die wir nachher anschauen müssen, und ja, der Metropolit
von Varna ist persönlich hergeeilt, um die Kapelle zu weihen. Bestimmt hat
Saschko jedes Mal, wenn er einem Gegner die Hoden abgeschnitten hat, inbrünstig
seine Hodigitria geküßt - Hodenmutter, sagt die Migräne, was natürlich Unfug
ist - nein, eine herbe mantelumwallte Wegführerin mit Kind hat er geküßt, vom
Pinsel des Evangelisten Lukas mit überirdischer Sorgfalt aufs Brett getupft.
Die
Männer schwimmen einträchtig nebeneinander her, für den Killer schwillt wieder
elektronischer Applaus aus seinen Apparaten, die in einem Crescendo alle
zugleich klingeln.
Potpourri
Langsam
hat sich die Dämmerung vom Meer kommend über das Land geschoben. Wir brechen
auf. Rumen steuert den kleinen Wagen wie ein Fahrschüler zum Tor hinaus. Mit
unseren aufgewühlten Köpfen können wir uns nicht einfach so ins Bett legen, wir
fahren in den belebten Teil der Stadt, finden aber keinen passenden Ort. Rumen
hält plötzlich mitten auf der Straße, steigt aus und geht zu einer Frau, die
vor einem Hauseingang kauert, gibt ihr etwas, wahrscheinlich ein Almosen. Er
zieht energisch die Wagentür hinter sich zu und fährt weiter.
Wir
wandern am Strand entlang in der Hoffnung auf ein Lokal mit Terrasse, von der
aus man aufs Meer schauen kann. Noch nie habe ich einen so hässlichen Strand
gesehen. Überall Drecksbuden mit dröhnender Musik, die Art von Musik, mit der
man einen Bürgerkrieg anfängt.
Ich
bleibe zurück und kotze auf den Strand, scharre das bisschen Schleim mit Sand
zu.
Rumen
ist aufgeregt, er erzählt und erzählt, bohrt mit den Schuhen im Sand und will, dass
meine Schwester alles versteht. Mir ist immer noch schlecht, ich möchte umkehren.
Den Weg ins Hotel finde ich, aber meine Schwester muss Rumen überzeugen, dass
ich ihn wirklich finde und in solcher Verfassung lieber für mich bleibe. Wir
winken, ich ziehe davon.
Entlang
der struppigen Palmen wandere ich zum Hotel. Einiger Verkehr, aber kaum
Menschen auf der Straße. Hie und da muss noch ein Klacks Magensaft raus, immer
weniger, eher beiläufig, vielleicht ein hündischer Zwang, die Straßen Varnas
zu markieren mit dem
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