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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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üblen Teenager, später zu einer
ordinären Frau, von der nach vier gescheiterten Ehen nicht viel blieb als ein
wilder Haufen Hass, Rachsucht, Gier und wiederum ein Sohn, den sie den Eltern
als Lockmittel präsentierte, um ihn dann aber schnell wieder fortzuschaffen
oder schlicht Geld zu verlangen, begehrten die Eltern ihren Enkel zu sehen. Was
für eine schaurige Rechnung da beglichen werden musste, wir wissen es nicht und
wollen es auch gar nicht wissen.
    Die
einst so leibgeniale Mutter landete mit sechzig im Grab. Der Vater sah keinen
Ausweg, als auf Tochter und Enkel ganz zu verzichten, und zog sich verbittert
nach Florida zurück. Wie er dort lebte, ob einsam, ob in Gesellschaft
fröhlicher Amerikanerinnen, blieb unbekannt. Jedenfalls tauchte er vor ungefähr
anderthalb Jahren wieder in Stuttgart auf, mit einem Plan im Kopf, einem von
der Sorte, den man nachts entwickelt und am Tag wieder vergisst. Kein Mensch
traute ihm zu, dass er ihn je würde zur Ausführung bringen können.
    Da
sind wir, sagt Rumen und zeigt auf die Mauerreste einer Burganlage, von
Scheinwerfern wechselweise rot, blau, grün, gelb angestrahlt und wie die
Kulisse einer Geisterbahn in den zugedunkelten Himmel gestellt. Die Stadt, in
die wir hineinfahren, scheint in zwei Teile zu zerfallen, unten ein Gürtel aus
verwahrlosten Hochbauten, oben der ältere Teil mit bröckeligen Ziegeldächern.
    Meine
Schwester ist aufgewacht, emporgereckt der schmale Kopf mit dem rebhuhnfarbenen
Haar. Oh, ruft sie, wie hübsch! Das überbewegliche Köpfchen dreht sich nach den
Seiten, als gäbe es wunder was zu entdecken. Sie lobt Rumen, tätschelt ihm den
Arm und wirkt mit einem Male aufgekratzt, als wären wir jung und würden bei der
Einfahrt in eine französische Kleinstadt unsere erste Gauloise rauchen. Mit
fliegendem Haar dreht sie sich zu mir herum, die haselnußbraunen Augen sprühen
vor Vergnügen: Na? Was sagt die Hinterbank?
    Veliko
Tarnovo, sagt die Hinterbank pedantisch, als müsse jemand hier unbedingt
klarstellen, dass wir uns nicht in Avignon befinden. Obwohl ich mir vorgenommen
hatte, Veliko Tarnovo übel zu finden, ist es nicht ganz so übel wie gedacht. In
Kurven und Kehren geht es den Hügel hinauf, und ja, das hat was, zumindest bei
Nacht, wenn die Verkommenheit in ein gnädiges Ungefähr zurückweicht.
    Rumen
stellt den Wagen an einem hochgelegenen, mauereingefaßten Platz ab, von dem
man die Lage überschauen kann. Links oben, auf dem Hügel gegenüber, die Reste
der künstlich verfärbten Gespensterburg. Roter Saum der untergehenden Sonne
auf den Waldspitzen, in der Ferne ein verlassener Fluss, der sich durch das Tal
windet. Dahinter wieder Hügel, Hügel an Hügel, bei Tageslicht wahrscheinlich
grün, jetzt umrisslos ins Dunkel verwoben. Schrilles Gekrächz, Musik,
unterbrochen von Ansagen, weht von der Burg herüber.
    Rechts
führt eine Gasse zum Hotel. Zu unserer Freude ist es erst kürzlich renoviert
worden. Sauber scheint es auch zu sein. Ein halb mürrischer, halb freundlicher
Empfangsmensch sieht kaum von seinen Papieren auf. Die mit Glanzgranit
ausgekleidete Halle, Plastiksträuße. Ein gellend lauter Fernseher links oben
im Eck hängend, damit wir sogleich in den Genuss der bulgarischen Sprache und
gefärbter bulgarischer Blondinen kommen.
    Weil
sie so viel geschlafen hat, steht meine Schwester unter Strom. Mit dem Finger
tippt sie an meine Nasenspitze, tippt an den Rand der Theke und zuckt zurück,
als hätte ein elektrischer Schlag sie erwischt, tippt an das Wappen auf Rumens
Jackenrücken, so zart, dass er es nicht merkt, tippt eine rosa Plastikblume an
und bringt deren Blüte ins Nicken, macht auf dem Absatz kehrt, und schon
übersetzen ihre wimmelnden Fingerspitzen, die hüpfenden Augenbrauen und der
nach allen Seiten zerzogene Mund das Gespräch der Männer in eine nervöse
Pantomime für Gehörlose.
    Alles
für mich. Gute, liebe, sich abrackernde Schwester. Sobald ich lache, hat sie
das Gefühl, etwas Nützliches getan zu haben, und hört mit dem Theater auf.
    Deponieren
der Pässe. Zu leistende Unterschriften. Schlüssel mit hölzernen Anhängern groß
wie Billardkugeln.
    Rumen,
der den Empfangsmenschen in eine hochwichtige Konversation verstrickt und
diese zu einem befriedigenden Abschluss gebracht hat, fühlt sich lauter
galanter Taten fähig. Die beiden schweren Taschen hängt er sich um, als wären
sie mit Zeitungspapier ausgestopft, nimmt den Koffer und steigt mit anmutigen,
fast tänzerischen Bewegungen die Treppe

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