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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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schnappten sich die erstbeste Blondine, deren sie habhaft
werden konnten, und setzten sich fest. Ihre sozialen Herkünfte, politischen
Motive, die Kriegserlebnisse waren grundverschieden, verschieden auch der Grad
an Faszination oder Widerwille, den sie gegenüber den deutschen Mordbrüdern an
den Tag gelegt hatten. Immerhin, man war ja während zweier Weltkriege mit den
Deutschen verbündet gewesen, und zum Dank hatten die Deutschen sich Mühe
gegeben, bei den Bulgaren nicht auf ein slawisches Mindervolk zu erkennen,
sondern in ihnen ein höheres, arisch versetztes Hybridvolk zu sehen, den Russen
weit überlegen. Was sie aber nicht davon abhielt, bei unserem Vater
Schädelvermessungen vorzunehmen, als er in Tübingen Medizin studierte.
    Zur
halben Ehrenrettung unseres ansonsten nicht zu rettenden Vaters sei erwähnt, dass
er es nach dem Krieg mit Willy Brandt hielt, als dieser noch höhnisch Frahm
genannt wurde. Er galt deshalb unter den meist inmitten der CDU angesiedelten
Bulgaren als Linker, wiewohl als ein Feind Stalins. Meine Schwester und ich,
Pessimistinnen von der unnachgiebigen Sorte, glauben an die Blütenreinheit unseres
Vaters nicht, glauben in Ermangelung eindeutiger Beweise an gar nichts, weder
an Gutes noch an Schlechtes, und überlassen den Richtspruch der Hohen Gewalt,
die auch uns einmal zu wissen geben wird, wer wir sind und was wir sind. Wobei
meine Schwester sich Hoffnungen auf ein mildes Urteil machen darf, ich mich auf
ein härteres gefasst machen muss, soviel ist jetzt schon klar.
    Was
war mit dem bulgarischen Kumpel unseres Vaters, dem heute
Achtundachtzigjährigen, nicht Freund, nicht Feind? Für einen undurchsichtigen
Gesellen wurde er gehalten, für einen Mann mit politischen Beziehungen nach allen
Seiten. Ein Photo in unserem Besitz zeigt ihn mit vier auf dem Boden
lümmelnden, locker aneinandergelehnten Burschen, einer von ihnen unser Vater,
rechts außen, nicht ganz dazugehörend, Tabakoff. Das Gesicht ein Gesicht, das
man sofort wieder vergisst. Schön daran vielleicht die Locken, die ihm über die
rechte Stirnseite fielen, die aber, sobald sein Geschäft gedieh, nicht mehr an
ihm gesehen wurden. Wir kennen Tabakoff nur mit kurzgeschorenem Dachshaar.
    Unzweifelhaft
besaß er einen genialen Geldsinn, der ihm eingab, sich mit dem sowjetophilen
Regime in Bulgarien zu verfädeln und einen schwunghaften Export-Import-Handel
aufzuziehen. Womit da genau gehandelt wurde, wissen wir nicht.
Sonnenblumenkerne allein können es nicht gewesen sein. Mit Sonnenblumenkernen
und Schafskäse ist kein Vermögen zu erwirtschaften, das allmählich die Millionenzahl
überstieg und heute die Milliardengrenze überschritten hat.
    Trotzdem
kann Alexander Iwailo Tabakoff nicht für einen glücklichen Mann gelten. Er mag
es in jungen Jahren gewesen sein, als er sich in die für ihn bestimmte Blondine
verliebte - ein Prachtexemplar, das er da zu fassen kriegte! Von sprudeligem
Charme, das kräftige Haar zu Dauerwellen gedreht, klackernde, rasselnde
Goldglieder mit Glücksanhängern um den Arm, ein Mund, den alle bulgarischen
Männer zu küssen begehrten, wiewohl eine penibel antrainierte Damenhaftigkeit
solche Begehrlichkeiten schmollend zurückwies.
    Als
Kinder waren wir von ihr begeistert, drückten uns immer in ihrer Nähe herum,
schmeichelten ihr. Die Frau roch gut; neben ihr kam alles, was lebte, zu seinem
Recht. Sie besaß eine Leibesgenerosität, die wir an unserer Mutter vermissten.
    Alexander
Iwailo Tabakoff heiratete eine Frau mit hollywoodesken Qualitäten, eine
Kreuzung aus der Monroe und Vera Brühne, allerdings mit einem erzschwäbischen
Zungenschlag behaftet, für Eingeweihte kenntlich als einer aus dem Stuttgarter
Osten. Diese Herkunft und dicke Fesseln, unter denen sie ein Leben lang litt,
verhinderten, dass Lilo Wehrle in Hollywood ihr Glück machte. Statt dessen
heiratete sie einen vielversprechenden Bulgaren und gebar ihm einen Sohn. An
diesen Sohn erinnern wir uns kaum. Nur, dass er mit sechs Jahren an einer
Hirnhautentzündung starb. Böse Zungen behaupteten, er sei aus Ermattung gestorben,
weil das rasend in ihn verliebte, rasend ehrgeizige Elternpaar ihm die
Lebensgeister ausgesaugt habe. Der folgende Wurf war jedenfalls ein
unglücklicher und machte den Schaden nicht wett: eine Tochter.
    Eine
echte Hiobsgeburt! Ihr einziger Erdenzweck schien darin zu bestehen, die Eltern
zu quälen. Faul, verlogen, missmutig, von oberflächlicher Hübschheit,
entwickelte sich das launische Kind zu einem

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