Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Massen - auf einer Schmutzspur aus Verpackungsmüll - unsere Erde in den Umweltkollaps.
Doch ohne zahlende Urlaubsgäste, so die Kritiker der Tourismuskritik, hätten Gorillas in Ruanda und Nashörner in Namibia keine Überlebenschance. Mit dem Rückenwind des Fremdenverkehrs hat sich die Zahl der Naturreservate weltweit innerhalb der letzten 50 Jahre fast verzehnfacht. Anfang der neunziger Jahre gab es über 8 000 Nationalparks und andere Großschutzgebiete. In vielen Urlaubsländern Afrikas nahmen die Wildbestände rasant zu. »Der Schutz der biologischen Vielfalt«, heißt es in einer Broschüre der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), »wäre ohne die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr nicht zu finanzieren.« 1
Gewiß, es gibt viele Beispiele für häßlichen Tourismus. Ein Blick nach Amboseli, Kenias beliebtestem Nationalpark, genügt. Die Savanne ist von Reifenspuren durchpflügt und jeder Löwe von einer Wagenburg aus Landrovern umstellt. Doch ohne die Devisen der Feriengäste wäre Amboseli eine Agrarregion, in der Rinderherden grasen und Maisäcker gedeihen: Kein Platz für wilde Tiere.
Massentourismus muß der Natur nicht zwangsläufig schaden. »Wer Massentourismus und Naturzerstörung gleichsetzt, denkt ökologisch viel zu kurz«, sagt Hans Bibelriether, ehemaliger Leiter des Nationalparks im Bayerischen Wald. »Der Tourismus«, fährt er fort, »ist unser Verbündeter.« Durch Deutschlands ältesten Nationalpark wandern 1,2 Millionen Menschen im Jahr. Dennoch haben sich die scheuen Schwarzstörche vermehrt. Wenn genügend Parkranger die Besucher lenken, ist es nach Bibelriethers Erfahrung egal, ob ein Waldweg von zehn oder von tausend Besuchern benutzt wird. Sogar auf den Balearen, den beliebtesten europäischen Ferieninseln, stehen 39,7 Prozent der Landesfläche unter Naturschutz.
Urlauber, das galt bisher unter Umweltschützern als gesichert, sind »Landschaftsfresser« (Jost Krippendorf). Selbst diese eingängige These gerät ins Wanken. Eine Studie der Universität Innsbruck über das touristisch intensiv genutzte Ötztal kommt zu dem Schluß: »Der Flächenanspruch des modernen Tourismus ist wesentlich geringer, als der der traditionellen Landwirtschaft. Gegenwärtig nimmt die Waldfläche im Tal zu und der wirtschaftlich genutzte Flächenanteil ab.« 2
Der touristische Dollartransfer aus dem Norden ist für Entwicklungsländer oft der einzig triftige Grund, für den Erhalt ihrer Naturparadiese zu sorgen. »Kein anderes globales Gewerbe«, sagt der Münchner Fremdenverkehrsberater Peter Zimmer, »ist so stark von sauberem Wasser, reiner Luft und intakter Natur abhängig.« Auch der WWF wirbt inzwischen für »Schützen durch Nützen!« und begrüßt, daß in Tropenländern jährlich 18 Milliarden Mark für Naturreisen ausgegeben werden. »Ohne Tourismus«, sagt der WWF-Artenschutzexperte Arnd Wünschmann, »wäre es um viele Naturgebiete der Erde schlechter bestellt.«
Diese Sichtweise machen sich zunehmend die Urlaubsländer selbst zu eigen. Der maledivische Staatspräsident präsentierte seinen Landsleuten ein einprägsames Rechenexempel: Ein Fischer verkauft auf dem Fischmarkt einen Hai für zirka 48 Mark. Ein Hai »erwirtschaftet« als Attraktion für Tauchtouristen jedoch einen Wert von über 50 000 Mark pro Jahr.
Die Alternative zum Tourismus heißt längst nicht mehr unberührte Wildnis. Das Fremdenverkehrsgewerbe steht in harter Konkurrenz zu anderen Nutzungsformen. In Entwicklungsländern bedeutet weniger Tourismus mehr Brandrodung, mehr Rinderzucht und mehr Plantagen. Nur wo ein Schutzschild aus touristischer Infrastruktur aufgebaut werden kann, bleibt die Landwirtschaft außen vor. Wenn Touristen weniger einbrächten als Bananen, könnte es sich die Regierung Costa Ricas kaum leisten, ein Viertel der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen. In Botswana scheiterte 1997 ein Vorhaben, den Okawango-Sümpfen wertvolles Wasser abzuzapfen, weil die Gegner des Projekts mit einer möglichen Beeinträchtigung des Tourismus argumentierten. Mehr als 5,4 Millionen Menschen haben 1994 dafür bezahlt, Wale beobachten zu dürfen. Weltweit 65 Länder bieten inzwischen Fahrten zu den Meeresriesen an. Das Tourismusgeschäft ist längst lukrativer als die Jagd mit der Harpune. 3
In der Reisebranche hat ein neues Denken begonnen. »Die vielzitierte Marmeladenverpackung am Frühstücksbüfett«, sagt der TUI-
Umweltbeauftragte Wolf Michael Iwand, »war nur das kleine Öko-Einmaleins. Die
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