Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Nagern und Fischen ernährten, wurde das Mittel zum Verhängnis: Sie produzierten aufgrund der Vergiftung so dünnschalige Eier, daß immer öfter Nachwuchs ausblieb. Einige Arten standen dadurch kurz vor dem Aussterben.
Rachel Carsons Buch und der sich beschleunigt verbreitende Umweltschutzgedanke löste politische Aktivitäten aus, die schließlich zu einem DDT-Verbot in den meisten Industriestaaten führten. In 72 Ländern darf das Mittel heute nicht mehr in der Landwirtschaft angewandt werden, 34 Staaten - darunter die Bundesrepublik - haben den Gebrauch und die Produktion gänzlich verboten. Die Greifvogelbestände erholen sich wieder, woran das DDT-Verbot einen Anteil hat. Auch in der Muttermilch gehen die Spuren von DDT beruhigenderweise zurück. Für die Umweltbewegung gilt die Ächtung des Insektengifts als einer ihrer größten Erfolge.
Doch der ökologische Fortschritt hat eine tragische Kehrseite: Denn nicht nur die Chemie, sondern auch die Natur hat zwei Gesichter. In den Tropen erwies sich DDT nämlich als wirksamste Waffe gegen die Ausbreitung der Malaria. Die Anopheles-Mücke, die die Krankheit überträgt, konnte nahezu ausgerottet werden (aber natürlich haben auch andere Tierarten unter dem Einsatz des Mittels gelitten). Rachel Carson hatte mit ihren Befürchtungen durchaus recht; unberücksichtigt blieb jedoch, daß DDT für viele Menschen lebensrettend war. Dies zeigt eine Statistik der Malariafälle in Sri Lanka vor und nach dem DDT-Verbot im Jahre 1963. 1
Jahr
Fälle
1946
2 800000
1961
110
1962
31
1963 ( eingestellt)
17
1964
150
1965
308
1966
499
1967
3466
1968/69
2 500000
Es dauerte geraume Zeit, bis aufgrund von Berichten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Protesten der betroffenen Staaten wieder DDT zur Malariabekämpfung eingesetzt werden konnte. Mittlerweile waren die Stämme der Anopheles aber teilweise gegen diesen Stoff resistent geworden. Dennoch gilt sein Einsatz in Asien oder Südamerika heute noch als Hilfsmittel zur Eindämmung der Malaria. Im Herbst 1994 wurde DDT beispielsweise in großen Mengen in einigen von Malaria bedrohten Regionen Indiens ausgebracht.
Diese Entscheidung zwischen zwei Übeln ist nicht erfreulich, aber möglicherweise tolerabel: Nicht die Giftigkeit, sondern die Beständigkeit und die Ausbreitung waren im wesentlichen die Gründe dafür, das Nervengift zu verbieten. Die akute toxische Wirkung ist bei verschiedenen Lebewesen ganz unterschiedlich. Die unmittelbare Gefahr für den Menschen ist jedenfalls so gering, daß diese Eigenschaft ursprünglich als einer der großen Vorzüge des Mittels galt. Nach Aussagen von Fachleuten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es auch »keinen überzeugenden Beweis« dafür, daß das Mittel bei gelegentlicher Exposition langfristig die Gesundheit schädigt. 2
Während eine Ächtung von DDT als Landwirtschaffsgift völlig richtig ist, erscheint der voreilige Verzicht auf den Malaria-Killer DDT aus heutiger Sicht problematisch. Insbesondere deshalb, weil die davon betroffenen Menschen so gut wie keinen Einfluß auf diese Entscheidung hatten. Der Verzicht auf DDT hat unter dem Strich wahrscheinlich mehr Menschenleben gekostet als gerettet.
1999 haben sich die zuständigen Gremien der Vereinten Nationen darauf verständigt, DDT in Entwicklungsländern zur Malariabekämpfung weiter zuzulassen, bis wirksame Alternativen gefunden worden sind.
Die sich ausbreitende Malaria konfrontiert heute auch immer mehr europäische und amerikanische Touristen mit dem Fluch der guten Tat. »Die Malaria ist weltweit längst außer Kontrolle«, sagt Hermann Feldmeier, Professor für Tropenmedizin an der Freien Universität Berlin. Er erwartet, daß 300 bis 500 Millionen Menschen jährlich daran erkranken. 3 Langfristig hoffen die Menschen in den betroffenen Ländern auf einen wirksamen und erschwinglichen Impfstoff gegen die Malaria (und damit wieder auf die Chemie).
1 Römpp Chemielexikon (Stichwort DDT), 9. Auflage, 1990. 2 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 7. 1997. 3 Augsburger Allgemeine vom 14. 10. 1997.
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