Lexikon der Oeko-Irrtuemer
hingegen einen Schock. Das Risiko, sich zu verletzen, ist dabei gleich groß.
› Moral: Die Gesellschaft in den industrialisierten Ländern steht auf dem Standpunkt, daß Umweltverschmutzung nicht nur schädlich ist, sie ist auch verabscheuungswürdig. Deshalb ist es gefühllos, über Kosten und Nutzen zu reden. Schließlich geht es um eine moralische Frage. Nehmen wir einmal an, eine Person mißhandelt ab und zu ein Kind. Jetzt stellen Sie sich einen Polizisten vor, der meint, dies sei im Vergleich zu der viel größeren Gefahr, im Straßenverkehr verletzt zu werden, ein akzeptables Risiko.
› Räumliche und zeitliche Ausdehnung: Durch die Gefahr A sterben in jedem Jahr 50 Menschen irgendwo im Lande. Gefahr B könnte mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10 irgendwann in den nächsten zehn Jahren alle 50000 Menschen in der Nachbarschaft umbringen. Eine Risikoanalyse ergibt für beide Gefahren denselben Erwartungswert der jährlichen Mortalität, nämlich 50. Die »Schockbewertung« dagegen sagt, daß Gefahr A vielleicht akzeptabel ist, B ganz sicher nicht.
Man kann sicherlich niemandem vorwerfen, daß er Gefahren nicht nur an der rein technisch-statistischen Risikobewertung, sondern auch an der moralischen Risikowahrnehmung ausrichtet. Dennoch sollten wir die nüchterne Abwägung nicht vollends aus den Augen verlieren. Dafür gibt es drei gute Gründe. Erstens: Weil Bewertung und Wahrnehmung sich mitunter doch bis ins Groteske verzerren. Beispiele dafür finden sich in diesem Buch genügend. Zweitens: Weil die Wahrnehmung und die daraus folgenden Konsequenzen mitunter nur moralisch scheinen, es aber tatsächlich nicht sind (etwa wenn andere Menschen durch falschen Alarm ihren Arbeitsplatz verlieren). Drittens: Weil sich hinter der vorgeblichen Moral mitunter weniger edle Motive verstecken (zum Beispiel handfeste ökonomische Interessen wie das Ausschalten eines Konkurrenten).
1 R. Hoffmann, Sein und Schein, 1997.
»Die schlimmsten Umweltkrankheiten gibt es in den Industrieländern«
»Die schlimmste Umweltverschmutzung ist die Armut«. (Indira Gandhi) Und aus ihr resultieren die schlimmsten Umweltkrankheiten und die wahren Katastrophen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzte die Zahl der neonatalen Todesfälle 1995 auf mehr als fünf Millionen. Das sind fünf Millionen Kinder, die während der ersten vier Lebenswochen starben. Statistisch ausgedrückt beträgt die Sterberate in den minderentwickelten Ländern 53 pro 1000 Geburten, in den Industrieländern 5 pro 1000 Geburten. 1
Gründe für die hohe Kindersterblichkeit in den armen Ländern sind schlechte Ernährung, mangelnde medizinische Versorgung, stark verunreinigtes Wasser, verschmutzte Luft sowie schlechte hygienische Verhältnisse. Akute Atemwegsinfektionen, Tuberkulose, Durchfall und Hepatitis sind die Folgen und die häufigsten Todesursachen. Hinzu kommt die sich wieder stark ausbreitende Malaria (siehe auch »Das Verbot des Pestizids DDT hat Menschenleben gerettet«).
Daran starben 1995 die Kinder in den Entwicklungsländern
Die schlimmsten Umweltkrankheiten sind nicht Folge von Wohlstand, sondern von Armut: Impfungen, Medikamente, bessere hygienische Verhältnisse und moderne Umwelttechnik für sauberes Wasser und saubere Luft könnten Millionen Menschen das Leben retten. (Quelle: WHO 1995)
Dies sind die schlimmsten Umweltkrankheiten (und nicht Amalgamvergiftung oder Elektrosmog). [Grafik siehe oben]
Von den 11 Millionen Kindern unter fünf Jahren, die 1995 starben, fielen ungefähr 9 Millionen Infektionskrankheiten zum Opfer, von denen wiederum etwa 25 Prozent durch Impfung vermeidbar gewesen wären. [Grafik siehe unten] Die Überlebenschancen der übrigen Kinder hätten mit Umweltschutzmaßnahmen drastisch verbessert werden können. Dazu zählen beispielsweise der Bau von Kläranlagen und Toiletten, der Ersatz von offenen Feuerstellen durch Herde, der Bau von Wasserwerken und die Chlorung von Trinkwasser, saubere Kraftwerke und Katalysatoren, geteerte Straßen (Atemwegserkrankungen durch Staub), hygienisch hergestellte Lebensmittel. Die Mittel gegen die drängendsten Umweltkrankheiten sind bekannt. Doch die betroffenen Menschen können sie sich meist nicht leisten.
1 WHO, Weltgesundheitsbericht 1996.
So viele Kinder sterben vor ihrem 5. Geburtstag
Bei allem Engagement für künftige Generationen sollten wir die heute lebenden nicht vergessen: Je höher entwickelt
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