Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Seitdem ist der Siegeszug des Schmetterlingseffektes in der populären Lebensbetrachtung unaufhaltsam.
Während Mathematiker und Physiker ihn inzwischen eher mit der Pinzette anfassen, haben sich Umweltschützer des Effektes umso vehementer angenommen. Motto: Der zarte Flügelschlag eines Falters löst in Borneo eine Kettenreaktion aus und bringt Regen in die Sahelzone, während in Europa die Eiszeit wiederkehrt und Nordamerika im Meer versinkt. Daraus folgt: Wenn schon ein zierlicher Flattermann zu so desaströsem Anstoß fähig ist, was können da erst die Flügelschläge der menschlichen Zivilisation anrichten?
Der Gedanke ist nicht ganz falsch, aber leider auch nicht ganz richtig. Denn bevor das Flattern der Zivilisation das Klima durcheinanderbringt, sind erst einmal die kräftigen Schwingen des Kosmos an der Reihe. Da sind doch gewaltige Energien im Spiel: Ein Tausendstel der die Oberfläche der Erde erreichenden Sonnenenergie entspricht dem Energieverbrauch der gesamten Menschheit. 2 Auch kleinere regionale Wellenbewegungen wie die sporadisch einsetzende Meeresströmung El Nino pumpen ganz schön kräftig: Es wird Wärme in der Dimension von 450 Millionen Megawatt freigesetzt - das entspricht der Kraft von 300 000 Atommeilern. 3 Selbst ein ganz gewöhnlicher Blitz hat noch eine Stromstärke von durchschnittlich 36000 Ampere. Das Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien zählte jüngst, daß 70 bis 100 Blitze pro Sekunde auf die Erde niederzucken. 4 (Dabei entstehen, nebenbei bemerkt, jährlich ein drittel bis halb soviel Stickoxide wie bei der Verbrennung aller fossilen Rohstoffe.)
Wer sich dennoch ständig vor vom Menschen in Gang gesetzten Schmetterlingseffekten fürchtet, dem kann die andere (und meist verschwiegene) Seite des Effektes Trost spenden. So machte Edward Lorenz in seinem historischen Vortrag deutlich: Einerseits kann ein Schmetterling durch seinen Flügelschlag einen Wirbelsturm auslösen. Umgekehrt birgt sein Flattern aber auch die Möglichkeit, daß die Entstehung eines Wirbelsturmes verhindert wird und statt dessen die Sonne scheint.
1 S. Ortoti, N. Witkowski, Die Badewanne des Archimedes, 1997. 2 Blick in die Wissenschaft Nr. 7/1995. 3 Der Spiegel Nr. 42/1997. 4 Der Spiegel Nr. 6/1997.
Der Wert von Prognosen
Die Prognosen der Klimaforscher kennzeichnet ein rasches Verfallsdatum. Wer ganz an die Anfänge der Aktivitäten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zurückgeht 1 , findet noch Erwärmungsprognosen von bis zu acht Grad Celsius für die nächsten 100 Jahre. Auf dem Umweltgipfel von Rio im Jahr 1992 betrug die erwartete Erwärmung infolge des vom Menschen gemachten Treibhauseffektes dann zwischen 4,5 und 3 Grad Celsius. Und anläßlich des Berliner Klimagipfels von 1995 wurden die Prognosen aufwerte zwischen 3 und 1 Grad Celsius weiter zurückgenommen (Durchschnitt 2 Grad).
Da diese Szenarien zugleich als Entscheidungsgrundlage für die Politiker der Welt gedacht sind, verbirgt sich hinter solchen Korrekturen erheblicher Zündstoff. Wer die vom IPCC 1990 und 1995 vorgelegten Klimaszenarien miteinander vergleicht 2 , stellt erstaunt fest, daß 1990 eine Erwärmung um zwei Grad bis zum Jahre 2100 fast noch als erstrebenswert galt. Um dieses Ziel (»Szenario B«) zu erreichen, so hieß es damals, seien drastische Maßnahmen erforderlich: Ein vollständiger Übergang von Kohle auf Erdgas, ein Stop jeglicher Abholzungen sowie eine weltweite Halbierung des CO 2 -Ausstoßes. Und 1995 wird das gleiche Ergebnis für den Fall prognostiziert, daß die Menschheit mehr oder weniger so weiterwurstelt wie bisher.
Die schwächste IPCC-Trendvorhersage von einem Grad wird derzeit durch Satellitenmessungen bestätigt und korrespondiert mit der natürlichen Klimavariabilität. Die Aussagekraft für den menschlichen Einfluß auf das Klima tendiert für diesen Fall naturgemäß gegen Null. Grundsätzlich läßt sich bei den Computervorhersagen feststellen: Verbesserte Modelle produzieren meist geringere Erwärmungsprognosen.
Der Grund für die letzte Rücknahme 1995: Der Smog der Zivilisation und die Rauchfahnen brennender Wälder schirmen in Form sogenannter »Sulfataerosole« die Sonne ab. Das kühlt die Erde. Die Temperaturkurve wurde daraufhin um ein Drittel nach unten korrigiert. Doch inzwischen stellte sich heraus: Die kühlende Wirkung der Partikelchen liegt nicht bei 30 Prozent, sondern höchstens bei zehn Prozent. Damit liegt das mühsam austarierte
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