Lexikon der Oeko-Irrtuemer
wissenschaftliche Gremium der EU für Toxikologie und Umwelt, im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens auf wissenschaftlicher Basis Grenzwerte mit höchsten Sicherheitsmargen festgelegt. Der Grenzwert liegt bei einem Prozent des Wertes, bei dem überhaupt keine Effekte mehr meßbar sind. In den Niederlanden und Großbritannien werden nun nachvollziehbare Testmethoden ausgearbeitet, um die Einhaltung überwachen zu können.
Ohne weitere erforderliche Studien abzuwarten, hat die europäische Kommission sich Ende 1999 dennoch für ein Sofortverbot von Phthalaten in Gegenständen wie Beißringen oder Rasseln entschieden. Wissenschaftler der EU wollen für diese Entscheidung allerdings nicht in Anspruch genommen werden. Professor Helmut Greim, Mitglied des CSTEE, legt Wert auf die Feststellung: »Es gibt durchaus noch wissenschaftlichen Klärungsbedarf in der Einschätzung des verbleibenden Risikos, aber keine akute Gefahr.« Man könne Phthalate in Kinderspielzeug natürlich verbieten. Aber das sei eine politische Entscheidung und nicht ableitbar aus einem Votum des höchsten europäischen wissenschaftlichen Komitees. 3 Das Verbot erscheint im Sinne des Verbraucherschutzes zunächst besonders konsequent, ist es aber leider nicht: Babyspielzeug aus anderen Materialien (siehe »Latex«) könnten sich für die Gesundheit der Babys sogar als problematischer herausstellen - die Aufmerksamkeit und Überwachung mit ähnlichen Testverfahren wie PVC wird ihnen aber nicht zuteil. Professor Greim: »Selbst das Nitrosamine emittierende Gummi ist toxikologisch schlechter untersucht als die Phthalate.«
Grundsätzlich gab ein Sprecher der PVC-Hersteller bekannt: Das beanstandete Spielzeug bestehe aus dem gleichen Material, das seit Jahrzehnten für medizinische Produkte - wie Schläuche für Bluttransfusionen und Beutel für Blutkonserven und Infusionslösungen - verwendet werde. Diese sind von den nationalen und internationalen Gesundheitsorganisationen und Ämtern sowie der europäischen Pharmakommission sorgfältigst geprüft und zugelassen worden.
1 Hamburger Abendblatt vom 22. 12. 1997. 2 Pressemitteilung PVC-Plus, 7. 12. 1997. 3 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 12. 1999.
»Latex ist ein ökologisch unbedenkliches Naturprodukt«
Latex genießt in der Öko-Szene einen erstaunlich guten Ruf. Zu den Statussymbolen des umweltbewußten Haushaltes gehört eine Latexmatratze. Schuhe aus Latex gelten bei Veganern als moralisch saubere Alternative zum Tierprodukt Leder. Latexmilch dient in Naturfarben als Bindemittel. Als Latex, Kautschuk oder Naturgummi wird der milchige Saft verschiedener Tropenbaumarten bezeichnet. Er wird gewonnen, indem man die äußere Rinde anritzt und die heraustretende zähe Flüssigkeit in Gefäßen sammelt. Dieses Rohmaterial wird durch Räuchern oder den Zusatz von Säure verfestigt. Synthetischer Gummi hat den Kautschuk teilweise verdrängt und machte in den neunziger Jahren zwei Drittel der Weltproduktion aus. 1 Doch das Naturprodukt ist nach wie vor für manche Erzeugnisse unerläßlich (zum Beispiel für Großreifen und im Motorenbau).
Als 1988 im brasilianischen Bundesstaat Acre der Gewerkschafter und Umweltschützer Chico Mendes ermordet wurde, breitete sich der Irrtum vom ökologisch korrekten Naturprodukt Latex aus. Mendes vertrat die Gilde der Kautschukzapfer. Diese Waldarbeiter ritzen wilde Gummibäume an, um an den Kautschuk zu gelangen. Eine Form der Sammelwirtschaft, die zu Recht als ökologisch vorbildlich gilt, denn sie nutzt den Urwald, ohne ihn zu zerstören. Die Kautschukbäume geben ihren Saft kontinuierlich ab und bleiben dabei am Leben.
Im 19. Jahrhundert war Brasilien tatsächlich der weltweit größte Exporteur von Kautschuk. Doch das hat sich gründlich gewandelt. Südamerika spielt auf dem Weltmarkt für Latex keine Rolle mehr. 2 Der Großteil der globalen Produktion kommt aus den drei südostasiatischen Ländern Thailand, Indonesien und Malaysia. 3 Dort ist die Kautschukproduktion das Gegenteil einer nachhaltigen Nutzung des Regenwaldes. 4 Für Gummibaumplantagen wurde und wird der Regenwald gerodet und abgebrannt (genau wie für Kaffee, Tee und Ölpalmen). Aids und die Konjunktur in der Automobilindustrie ließen den weltweiten Bedarf in den letzten Jahren ansteigen: Medizinische Handschuhe und Kondome werden aus Kautschuk hergestellt, und auch Autoreifen bestehen zum Teil aus Naturgummi. 5
Statt Tropenholz zu boykottieren, sollte der umweltbewußte
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