Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
klingt nicht ganz unwahrscheinlich.
Auch die weibliche Ejakulation wurde im Kamasutra, von Aristoteles, anderen Griechen und in der pornographischen Literatur nicht selten beschrieben. Bis ins 18. Jahrhundert hinein vermutete man sogar, dass ohne den «weiblichen Samen» keine Befruchtung stattfinden könne. Selbst in sexualwissenschaftlichen Texten des frühen 20. Jahrhunderts, etwa bei Richard von Krafft-Ebing, Max Marcuse, Havelock Ellis und Magnus Hirschfeld, tauchen die «weiblichen Pollutionen» noch auf. Schon kurz danach kam die weibliche Ejakulation zumindest in der medizinischen Literatur jedoch aus der Mode und wurde einige Jahrzehnte lang einhellig als von männlichem Wunschdenken geprägter Mythos bezeichnet.
Generell ist die Sexualwissenschaft nach einer kurzen Blütezeit in den 1920er und 1930er Jahren nur schleppend vorangekommen, was unter anderem daran liegt, dass sich – in den USA wie in Europa – nörgelnde Stimmen erheben, wenn an Universitäten der Orgasmus erforscht werden soll. Der Steuerzahler vermutet ohnehin, dass an Universitäten zu viel am Orgasmus geforscht und zu wenig gearbeitet wird. So lässt sich vielleicht erklären, dass die meisten Mediziner bis heute von den hier behandelten Teilen und Funktionen des weiblichen Körpers eher weniger wissen als der durchschnittlich aufmerksame Pornographiebetrachter. Seit wenigen Jahren gilt die Existenz der weiblichen Ejakulation immerhin als einigermaßen unumstritten, aber die Details sind nach wie vor unklar. Beim Mann dagegen weiß man genau, wie, warum und mit Hilfe welcher Organe er eine Ejakulation zustande bringt.
Der holländische Anatom Regnier de Graaf war einer der Ersten, die sich der Frage nach den zuständigen Organen widmeten. 1672 schrieb er von einer «weiblichen Prostata», die wie beim Mann rings um die Harnröhre angebracht sei und deren Ausfluss «ebenso viel Wollust (verursache) wie der von den männlichen ‹prostatae›». Er zitierte den griechischen Anatomen Herophilos von Chalkedon (300 vor Christus) und den griechischen Arzt Galen (2. Jahrhundert), die ebenfalls von einer weiblichen Prostata berichteten, und vermutete selbst, dass die Sekretion dieser Prostata teilweise durch Öffnungen in die Harnröhre abgesondert wird. Der Leser möge an dieser Stelle nicht zu früh lachen, denn schon wenige Absätze später könnte es ihm leidtun.
1880 beschrieb der schottische Gynäkologe Alexander Skene die nach ihm benannten (auch als Paraurethraldrüsen bekannten) Skene-Drüsen neben der weiblichen Harnröhre, deren Funktion ihm aber unbekannt war. 1926 äußerte sich dann der niederländische Gynäkologe Theodoor Hendrik van de Velde in seinem Bestseller «Die vollkommene Ehe» ausführlich zur Möglichkeit einer weiblichen Ejakulation. «Dass es dazu kommt, jedenfalls bei einem Teil der Frauen, ist nicht zweifelhaft», heißt es darin. Den Ursprung der Flüssigkeit vermutete er in den Bartholinschen Drüsen, die auch für die Befeuchtung des Scheideneingangs zuständig sind. Die Skene-Drüsen seien, so van de Velde, zu klein, «um eine Ansammlung von Sekret, das ausgespritzt werden kann, zu ermöglichen».
Der deutsche Gynäkologe Ernst Gräfenberg beschrieb 1950 schließlich eine «erogene Zone in der vorderen Vaginalwand, entlang der Harnröhre», deren Existenz er aus seiner eigenen «Erfahrung mit zahlreichen Frauen» bestätigte. Aus dem Artikel geht recht klar hervor, dass Gräfenbergs Daten im privaten Umfeld gewonnen wurden – solche Offenheit in sexualwissenschaftlichen Texten ist seither selten geworden. Bei einigen Frauen, so Gräfenberg, spritzten im Moment des Orgasmus größere Mengen einer klaren Flüssigkeit aus der Harnröhre, bei der es sich nicht um Urin handle (was er allerdings wohl nicht im Labor untersucht hatte). Seiner vorsichtig geäußerten Hypothese zufolge habe man es wahrscheinlich mit Sekretionen der Drüsen innerhalb der Harnröhre zu tun, die mit der beschriebenen erogenen Zone zusammenhänge. Eine Funktion als Gleitmittel komme nicht infrage, da die Flüssigkeit dann nicht erst beim Orgasmus abgesondert würde. 1953 erschien Gräfenbergs Aufsatz überarbeitet als Kapitel eines sexualwissenschaftlichen Fachbuchs. Von persönlicher Anschauung war nun nicht mehr die Rede; der Abschnitt über die weibliche Ejakulation wurde aus unbekannten Gründen getilgt.
Gräfenbergs Aufsatz blieb zunächst weitgehend unbeachtet. Der Sexualforscher Alfred Kinsey und seine Mitarbeiter erwähnten
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