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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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auf rein theoretischen Überlegungen, und gegen sie spricht ein Zusammenhang zwischen Anthocyan-Konzentration und der Konzentration bestimmter Abwehrstoffe, den der Biologe Martin Schaefer nachgewiesen hat. Der Baum hat demzufolge kein Interesse an der Kommunikation mit Blattläusen – kluge Blattläuse könnten aber womöglich von sich aus einen Zusammenhang zwischen Farbe und Gift erkennen.
    2004 veröffentlichten israelische Biologen um Simcha Lev-Yadun die These, dass unterschiedliche Laubfärbungen generell dazu dienen, Insekten die Tarnung nicht allzu leicht zu machen. So werden grüne Blattfresser im Herbst noch schnell ihren Fressfeinden preisgegeben. Weil die Herbstverfärbung nur kurz andauert, ist der Selektionsdruck zur Anpassung auf die Insekten nicht sehr groß – jedenfalls war bisher kein grünes Insekt raffiniert genug, sich mit dem Herbstlaub zu verfärben. Und die Physiologin Linda Chalker-Scott entwickelte die These, dass Anthocyane als Frostschutzmittel dienen: Im Gegensatz zu Chlorophyll und vielen anderen Farbstoffen sind sie nämlich wasserlöslich, und →Wasser, in dem Substanzen gelöst sind, gefriert bei niedrigeren Temperaturen als normales Wasser. Denkbar wäre aber auch, dass Anthocyane das Wachstum bestimmter Pilze hemmen. Diese Hypothese entstand, als man in den 1970er Jahren beobachtete, dass pilzzüchtende Ameisen darauf achten, keine roten Blätter an ihre Pilze zu verfüttern. Vielleicht haben die Ameisen dafür tatsächlich bessere Gründe als eine Abneigung gegen die Farbe Rot, denn eine Studie der Universität Freiburg ergab ebenfalls, dass Anthocyanextrakte das Pilzwachstum in Früchten hemmen.
    Insgesamt sind in den letzten zehn Jahren große Fortschritte in der Herbstlaubangelegenheit zu verzeichnen. Noch offen sind aber beispielsweise die Fragen: Welche Funktion hat die Rotverfärbung, die man manchmal bei jungen Blättern findet? Warum sind manche Pflanzen ganzjährig rot? Warum verfärben sich eng benachbarte Bäume derselben Art im Herbst oft sehr unterschiedlich? Oder verfärben sie sich in Wirklichkeit gar nicht? Vielleicht sind es ja nur unsere Augen, die sich auf den Herbst vorbereiten.

Indus-Schrift
Nachdem sie dies getan hatten, brachten sie die Opfer dar, wie es der Sitte entsprach, um nicht fehlender Frömmigkeit geziehen zu werden.
Allzweck-Übersetzung lateinischer Inschriften, aus Henry Beard: «The Complete Latin For All Occasions»
    Das Indus-Tal gilt als eins der Zentren früher Schriftkultur, seit britische Archäologen 1872 im heutigen Grenzgebiet zwischen Pakistan und Indien die ersten Siegel der 5000 Jahre alten Harappa-Kultur fanden. Heute sind insgesamt vier- bis fünftausend beschriftete Gefäße, Tonscherben, Siegel aus Stein und Metall, Amulette, Kupfertafeln, Waffen und Werkzeuge bekannt. Die Schrift selbst aber bleibt unentziffert, die verwendete Sprache unbekannt. Es gibt über hundert veröffentlichte Entschlüsselungsversuche, und für jede widerlegte Theorie wächst eine neue nach.
    Falls es gelingt, die Indus-Schrift zu entziffern, wird die Welt der Literatur kaum reicher sein, denn die längste bekannte Indus-Inschrift ist gerade mal 17 Zeichen lang, und die durchschnittliche Inschrift hat keine fünf Zeichen, was bestenfalls für Erzählungen vom Format «boy meets girl» reicht. Trotzdem wäre es von großem Interesse, in welcher Sprache hier geschrieben wurde. Falls es sich überhaupt um eine Sprache handelt: Der Historiker Steve Farmer, der Indologe Michael Witzel und der Linguist Richard Sproat vertreten wegen ebenjener Kürze der Inschriften die These, dass die Indus-Symbole eher als Wappen, Eigentumsnachweis oder Gutschein, also schlicht zur Identifikation dienen. Hätte man es mit einer echten Schrift zu tun, müssten in den Inschriften mehr Symbolwiederholungen auftauchen, so kennt man das zumindest aus Aufzeichnungen in anderen Schriften.
    Für die traditionelle Schriftthese spricht andererseits die Anordnung der Symbole in Zeilen und nicht etwa in einem hübschen Muster oder dort, wo gerade Platz ist. Gegen Ende der Zeile wird es manchmal eng, so als habe der Schreiber ein Wort nicht trennen wollen. Nach Ansicht der Schriftverteidiger sind die überlieferten Texte nur deshalb so kurz, weil längere Texte auf Material niedergelegt wurden, das die 5000 Jahre nicht überdauert hat. Farmer, Witzel und Sproat weisen wiederum darauf hin, dass alle bekannten antiken Schriftkulturen längere Texte auf haltbaren Materialien

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