Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)

sollen? «
    Nekia ließ nicht locker. » Na, du weißt doch aus dem Unterricht bei Master Shelton, was passiert, wenn sich eine Spannung, die sich über einen längeren Zeitraum aufgebaut hat, plötzlich entlädt. Dann sprühen die Funken und oft knallt es dabei auch gehörig. «
    » Der Kuss war… er war schön « , sagte Kendira leise und spürte Befangenheit in sich aufsteigen. Nekia war zwar ihre beste Freundin, aber es gab Dinge, Momente und Gedanken, die sie mit keinem teilen, sondern allein für sich bewahren wollte. » Carson ist… also, er ist sehr zärtlich und viel sanfter, als ich es erwartet hätte. Aber mir war nach der langen Zeit im Wasser ganz schön kalt. Das ist bestimmt nicht gerade von Vorteil, wenn man sich das erste Mal küsst. Außerdem: Ein Kuss macht noch keine große Liebe. Wie weit das mit Carson und mir geht, das muss sich noch zeigen. «
    Nekia machte ein verblüfftes Gesicht. » Also, wenn du herausfindest, dass ihr beide doch nicht füreinander geschaffen seid, dann gib mir bitte Bescheid. Ich nehme ihn dir dann gerne ab! « , sagte sie in einem Ton, der scherzhaft klingen sollte. Inzwischen hatten sie die Stufen zum hell erleuchteten Portal der Lichtburg erreicht. Kendira tat, als hielt sie Nekias Worte wirklich für einen Scherz, und lachte mit ihr. » Ich werde daran denken und vielleicht auch noch ein gutes Wort bei Carson für dich einlegen « , sagte sie und damit war das Thema für sie beide erledigt.
    In ihrem Dorm waren alle anderen Mädchen schon längst in den Schlaf gesunken, als Kendira immer noch wach in ihrem Bett lag und die Erlebnisse dieser Nacht wie in einer Endlosschleife vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen ließ. Was sie dabei besonders beschäftigte, war zum einen die eigentlich kaum fassbare Tatsache, dass innerhalb von wenigen Minuten Carson und Dante sie nackt in ihren Armen gehalten und geküsst hatten. Und zum anderen der Umstand, dass Carson es sich von ihr gewünscht hatte, sie küssen zu dürfen, während der Servant Dante sich die Erfüllung seines Verlangens einfach genommen hatte.

33
    Die aufgeregten Rufe und mit Trommelwirbeln unterlegten Fanfarenklänge passten nicht zu Kendiras erotischem Traum, und sie weigerte sich, den Geräuschen Beachtung zu schenken. Nichts durfte sie von den vier Händen und vier Lippen ablenken, die sie liebkosten. Doch dann packte eine Hand sie an der Schulter und rüttelte sie so energisch, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich von dem Traum zu lösen und aufzuwachen.
    » Na, endlich! « , rief jemand über ihr. » Einen Stein zum Leben zu erwecken, ist ja leichter, als dich aus dem Schlaf zu holen! «
    Noch halb im Schlaf, blinzelte Kendira in das helle Licht der Deckenleuchten, die im Alpha-Dorm aufgeflammt waren. Sie hob den Arm, um ihre Augen vor der schmerzhaften Helligkeit abzuschirmen. Es war Colinda, die sich über sie gebeugt hatte. » Was ist denn los? « , stieß Kendira benommen hervor. Ihr war, als wäre sie gerade erst vor wenigen Minuten eingeschlafen. Die Zeiger ihrer Armbanduhr standen auf vier Uhr dreiundzwanzig in der Nacht.
    Colinda lachte. » Hast du was auf den Ohren? Oder wie kommt’s, dass du das nicht hörst? « Sie machte eine vage Handbewegung, die nach oben zeigte.
    Im selben Moment nahm Kendira den Trommelwirbel, die sich ständig wiederholende Tonfolge der vier aufsteigenden und dann einen Akkord bildenden Fanfarenklänge und die aufgeregten Rufe wahr, die den Alpha-Dorm erfüllten und auch aus den anderen Schlafsälen zu hören waren. Die ganze Lichtburg glich einem in Aufruhr geratenen Bienenstock.
    Jäh richtete sie sich im Bett auf. » Das Lichtschiff! « , stieß sie hervor und war mit einem Mal hellwach. » Erhabene Macht, das Lichtschiff ist im Anflug! «
    » Wie beruhigend, dass du dich wieder daran erinnerst, was die Trommelwirbel und der Fanfarenvierklang zu bedeuten haben! « , frotzelte Colinda. » Und jetzt beeil dich, dass du aus dem Bett und in deine Kutte kommst! Sonst wird gleich dein Name aufgerufen und du träumst hier immer noch herum! «
    Kendira war mit einem Satz aus dem Bett, fuhr aus ihrem Pyjama und zog sich rasch an. Um sie herum brandete das Stimmengewirr ihrer Alpha-Schwestern. In die freudige Erwartung, vielleicht schon in dieser Nacht zum hochwürdigen Dienst berufen und mit dem Lichtschiff zum Lichttempel geflogen zu werden, mischten sich auch Verwunderung und Spekulationen. Bislang war das Lichtschiff noch nie so früh im Jahr gekommen.