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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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möglich…«
    Liberty Bell saß auf der Kante von Ernestos Krankenbett und hielt stumm seine Hand. Sie war wieder so blass, wie sie es vor ein paar Wochen gewesen war, als sie selbst in diesem Krankenhaus Patientin gewesen war. Und wieder lagen unter ihren Augen dunkle Schatten.
    Die Besucher kamen und gingen und gaben sich gegenseitig die Klinke in die Hand und am Abend war nur noch Liberty Bell übrig, die immer noch auf Ernestos Bettkante saß und seine Hand genauso fest umklammert hielt wie am Morgen und am Mittag.
    »Es war nicht dein Vater, es war mein – Vater, der dich… so zugerichtet hat«, sagte sie irgendwann leise und musste weinen.
    Ernesto streichelte ihre Fingerspitzen. »Oh Mann«, murmelte er einmal, zweimal, dreimal mit geschlossenen Augen.
    Sie konnten nicht darüber sprechen, was an jenem Abend passiert war. Noch nicht.
    Liberty Bell hatte es nicht getan. Sie hatte Dr. Stanley Merrill, ihren leiblichen Vater, nicht getötet, obwohl sie es in der Hand gehabt hätte. Es hätte sie nur eine Bewegung gekostet, sie hätte gewusst, wie man es machte, aber Tatsache war es nun einmal, dass sie ihn am Leben gelassen hatte.
    Wie musste es für sie gewesen sein? All diese schrecklichen Worte, die sich in Ernestos Gehirn eingebrannt hatten, die er nie wieder vergessen würde. Wie hatte sie es ertragen? Wie hatte sie ertragen können, ihn nicht zu töten?
    Viel später erfuhr Ernesto, dass sein Vater sie nicht Stunden in seiner Gewalt gehalten hatte, wie er eigentlich geglaubt hatte. In Wirklichkeit waren sie viel kürzer im Rampenhaus eingesperrt gewesen.
    Es war letztendlich seinen Freunden zu verdanken gewesen, dass die Polizei die Kellertür aufgebrochen hatte und das vorgefunden hatte, was die Presse, allen voran Chanel 77, jetzt sensationslüstern »Blutiges Familiendrama auf dem West End Hill« nannte und schon seit Wochen in allen Facetten ausschlachtete: die regungslose Liberty Bell, die stumm dagesessen hatte, das Skalpell gegen den Hals von Dr. Merrill gepresst, auf dessen zerknitterter Anzughose sich ein dunkler nasser Fleck ausgebreitet hatte, der scharf roch. Die leblose Sondra Merrill, vollgepumpt mit Drogen und Gift. Sie war noch auf dem Weg ins Krankenhaus ins Koma gefallen, aus dem man sie bis heute nicht aufwecken konnte. Und Ernesto in einer Lache aus seinem eigenen Blut.
    Eine Stunde vorher hatten Mose und Jadens Bruder Otis in Jadens auf dem Speicher verpackten Sachen in den Tiefen seiner alten, ausrangierten Radlertasche in einer Art doppeltem Boden endlich die Kopie einer unheimlichen Tagebuchaufzeichnung gefunden.
    Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!, hatte Mose mit zusammengekniffenen Augen mühsam das Gekrakel entziffert. Er ist Arzt und Mrs Franklin sagt immer, Ärzte sint gute Menschen, weil sie einen Eit geschworen haben, stets gutes zu tun! Aber das ist gelogen! Er hat eine hüpsche Frau. Sie hat blonde Locken und siht aus wie aus einem Film! Warum komt er zu mir? Er tut mir weh! Er tut ein Ding in meine geheime Stele! Er komt imer mit seinem feinen Auto. Das stelt er im Gebüsch am Waltrand ab. Unt dann komt er bafus zu mir gelaufen. Er sagt komische Sachen. Er sagt zum beispil, er libt mich! Sein Auto hat einen Panterkopf vorne. Er heist Stanley Merrill. Aber er sagt, ich soll HER zu ihm sagen. Ich hasse ihn! Er hat mir schon ser oft ser weh getan… Aber ich weis was ich tun werde: ich sags Mrs Franklin. Sie wirt mir bestimt helfen! Sie ist gut!
    Ernesto konnte sich das Entsetzen und die Sprachlosigkeit nur ansatzweise vorstellen, die sie empfunden haben mussten.
    Es war Salva gewesen, der sofort gehandelt hatte. Nachdem sie Ernesto weder auf dem Handy noch auf dem Festnetz erreicht hatten, hatte er Baz informiert. Ernesto staunte noch immer, dass die Polizei so schnell vor Ort gewesen war, aber mittlerweile fragte er sich, ob sie Dr. Merrill vielleicht schon früher verdächtigt hatten.
    Er fühlte Liberty Bells Hand in seiner. Stumm kroch sie zu Ernesto unter die Krankenhausbettdecke und umarmte ihn. Und dann sang sie mit geschlossenen Augen Tie a yellow ribbon round the ole oak tree für ihn, wie es Annie Lyford während ihrer Kindheit im Wald für sie getan hatte, und die letzte Strophe sang Ernesto sehr leise, und hier und da über ein Wort stolpernd, mit, und vertrieb so seine verzweifelten Gedanken an das, was passiert war, während er Liberty Bell, deren Singen in Weinen übergegangen war, umarmte.
    »Was ich nur nicht verstehe«, sagte Dara an dem Morgen,

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