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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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Merrill ihr Vater war. Allerdings sperrte Liberty Bell sich mit Händen und Füßen gegen die geplante genetische Untersuchung, doch sie war Teil der polizeilichen Ermittlung und Baz sagte, sie käme wohl nicht drum herum. Auch Geld aus Dr. Merrills Besitz wollte Liberty Bell nicht annehmen.
    »Wenigstens dazu kann mich keiner zwingen«, sagte sie mit fester Stimme zu Ernesto. »Ich will sein Geld nicht. Es würde mich nicht glücklich machen. Ich würde es hassen.«
    Am Abend, als sie alle im Garten der Colemans Pizza aßen, wo Ernesto sich bis auf Weiteres ein Zimmer mit Salvador teilte, wandte er sich mit leiser Stimme an Baz.
    »Wie geht es – Chazza?« Er musste sich räuspern, als er den Namen des Ewig Summenden aussprach.
    Baz zögerte. »Er ist auf dem Wege der Besserung, würde ich sagen«, sagte er schließlich. »Zurzeit ist er in einer Rehabilitationsklinik in Portland. Er wollte herkommen, aber er ist noch nicht transportfähig. Er weiß bereits, was passiert ist, ich war bei ihm und habe es ihm selbst berichtet. Er will, dass du ihn bald besuchen kommst, Ern.«
    Ern nickte nur vage. Bald, das war ein Wort, das in die Zukunft wies. Und Zukunft, das konnte er sich im Moment einfach nicht vorstellen.
    Ernestos Mutter starb an einem untypisch nebeligen Oktobertag, der Himmel vor dem Klinikfenster war schiefergrau, Vögel wirbelten in ihm herum. Auch Oregon-Junkos, Ernestos Lieblingsvögel aus Kindertagen, waren darunter. Sie starb, ohne noch einmal aufgewacht zu sein. Ernesto saß an ihrem Bett und wünschte sich den Mut, ihre Hand zu halten. Aber er tat es nicht.
    Sie hatte gewusst, was vor sich ging. Sie hatte gewusst, was ihr Mann da tat. Sie hatte Ruby Kyriacous Leiden in Kauf genommen…
    Warum hatte sie das getan? Warum war sie – kaputtgegangen? Was war geschehen?
    Es musste einen Grund geben. Es musste einfach…
    Und als sie schließlich starb, nahm Ernesto doch ihre Hand in seine und hielt sie fest. Wenigstens für diesen Moment.
    »Mom…«, sagte er zum letzten Mal leise. »Mom…«
    Am Tag darauf fuhr er Chazza besuchen.
    »Da bin ich, Chazza«, sagte Ernesto vorsichtig und schloss die Tür hinter sich und Liberty Bell.
    Das Stück Wald, das von Chazzas Fenster aus zu sehen war, war herbstgelb und sah schön aus. Golden eben, wie ein Herbst sein sollte. Kein grauer Nebel heute. Kein graues Irrlicht. Ernesto hielt sich in der letzten Zeit immer erleichtert daran, wenn Dinge waren, wie sie sein sollten.
    Chazza saß am Fenster und drehte sich um, als er Ernestos Stimme hörte. Ein leichtes Lächeln huschte über sein eingefallenes Gesicht.
    »Komm«, sagte er und streckte die Arme aus. Seine blinden Augen sahen aus wie immer, aber der restliche Chazza Blume sah traurig aus, unendlich traurig. Traurig und unfallgebeugt. Um den Hals trug er einen fest verschraubten Stützapparat, der seiner lädierten Halswirbelsäule Halt geben sollte. Ernesto musste daran denken, was Natasha getan hatte… Zweimal hatte sie brutal versucht, Chazzas Leben auszulöschen. Einmal beim Steinbruch und einmal im Krankenhaus, als sie sein Sauerstoffgerät manipuliert hatte. Nat…
    Ernesto versuchte, den Gedanken an Nat wenigstens einmal weit von sich zu schieben.
    »Nun geh schon zu ihm«, flüsterte Liberty Bell in diesem Moment und schob Ernesto leicht in Chazzas Richtung.
    Als Chazza ihn schließlich umarmte, musste Ernesto weinen. Ungelenke Schluchzer drangen aus seiner Kehle. Zum ersten Mal, seit sein – seit Dr. Merrill Liberty Bell in seine Gewalt gebracht und verletzt hatte, zum ersten Mal, seit er herausgefunden hatte, wer hinter dem fürchterlichen Tod von Jaden und Flavio steckte, und zum ersten Mal, seit seine Mutter gestorben war, konnte er weinen.
    »Mein armer Junge«, sagte Chazza wieder und wieder leise und streichelte behutsam seinen Rücken
    »Warum hast du… es mir nie gesagt, Chazza?«, fragte er später, als er wieder sprechen konnte. »Du wusstest es immer, oder? Dass du mein – mein… Vater bist?«
    Chazza seufzte. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte er leise. »Erinnerst du dich daran, dass ich das schon einmal zu dir gesagt habe?«
    Sie saßen zu dritt im Wintergarten der Klinik und dünne Regentropfen regneten gegen die vielen Glasscheiben, die sie umgaben.
    »Ich lernte deine Mutter kennen, als sie zur Highschool ging. Sie war eine dürre, fahrige Schülerin, die oft nach ungewaschenen Sachen und Zigarettenqualm roch, und ich war Hilfslehrer für das Fach Musik. Ich war damals

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