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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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an der Cal gestanden hatte, als Liberty Bell ihn mit ihrem Messer getroffen hatte. Bräunlich getrocknete Bluttropfen waren als Gastgeschenk von Cal Wyluddas dreistem Überraschungsbesuch in Liberty Bells Hütte zurückgeblieben. Ihr Gesicht war starr wie eine Maske, während sie sich abmühte.
    »Ziemlicher Mist, was?«, sagte Ernesto, halb zu sich und halb zu dem Mädchen. »Du… du hast da auch noch – Blut im… im Gesicht.«
    Er deutete auf Liberty Bells Stirn und sah gleich darauf stumm zu, wie sie einen Lappen in einen Eimer mit Wasser tauchte und gründlich ihr Gesicht abwischte. Mit den Fingern fuhr sie sich anschließend immer wieder durch die Haare, wie um sie zu kämmen oder wenigstens zu entheddern. Beides gelang ihr nicht wirklich. Ob ihr Haar jemals ein echtes Haarshampoo kennengelernt hatte? Oder wie wusch sie sich? Ausschließlich mit dem Wasser aus dem Tümpel hinter ihrer Hütte?
    »Liberty Bell, du… du kannst hier heute Nacht nicht alleine bleiben«, fuhr er vorsichtig fort, aber das Mädchen beachtete ihn nicht. Himmel, sie sah ihn kaum an, sie sprach nicht – und sie hörte auch nicht wirklich zu. Ernesto fühlte sich, als wäre er nichts weiter als die altersschwache Pfanne, die Liberty ausgeleert und zurück auf den alten Ofen gestellt hatte. Und außerdem, wie sollte er ihr erklären, was er befürchtete?
    »Hör doch mal«, sagte er etwas lauter. »Bitte.«
    In der Hütte wurde es unterdessen immer dämmriger. Ein Blick auf die Uhr bestätigte es. Schon nach sechs Uhr. – Verdammt. Der Weg zu seinem Beetle würde bestimmt eine Stunde in Anspruch nehmen und dann noch der Hundertzwanzigmeilenrückweg. Aber er konnte im Grunde sowieso nicht gehen, nicht ohne das Mädchen, das hier in der Falle saß. In der Falle, die Jaden und Cal zu verdanken war.
    »Eve?«, sagte Liberty Bell da plötzlich lauschend und öffnete die knarrende Hüttentür einen Spaltbreit.
    Eve? Also doch! Ihre Mutter. Best Mommy …
    Ernesto ließ das Mädchen nicht aus den Augen und trat hinter ihr ins Freie.
    »Eve«, murmelte Liberty Bell erneut und machte ein paar Schritte.
    »Deine… Mom? Wo?«, erkundigte sich Ernesto leise. Ein winziges Lächeln huschte diesmal über ihr Gesicht. Stumm deutete sie zum Tümpel. Darin schwamm, nah am Ufer, eine dieser unförmigen Nutriaratten herum. Wieder eine von den hellen. Ihr borstiges, unter Wasser befindliches Fell glänzte im Abendlicht der Lichtung. War es dieselbe, die Liberty Bell bei seinem letzten Besuch auf den Knien gehalten und gestreichelt hatte? War das möglich?
    »Sie… säugt… ihre… Jungen«, sagte Liberty Bell da leise und Ernesto hielt den Atem an. Das war der erste vollständige Satz, den er von ihr gehört hatte, und sie klang, wenn sie so sprach, alles andere als debil.
    »Während… sie… schwimmt, säugt… sie sie… – Ihre Kleinen… meine ich. Kannst du sehen? – Es sehen …«, verbesserte sie sich hastig. Wahnsinn – das Mädchen konnte tatsächlich richtig sprechen.
    Ernesto schüttelte den Kopf, wie um einen klaren Gedanken zu fassen.
    Eve. Okay. Eine Nutriaratte mit Rattenbabys.
    »Du… hast dieser Ratte einen Namen gegeben?«, fragte er. »Haben… haben alle deine Ratten…«
    Ernesto deutete auf die Käfigverschläge, in denen es wie immer rumorte und raschelte. »…Namen?«
    Er rechnete nicht wirklich mit einer Antwort. Wer spricht schon mit seiner Bratpfanne? Aber diesmal irrte er sich.
    »Nein. Nur sie. Ich – habe… sie… schon lange. Sie… ist… ein Segen. Sie… hat… mir schon viele Nachkommen geschenkt. Sie ist – sehr fruchtbar …«, sagte Liberty Bell und ging am Ufer des Tümpels in die Knie.
    Die Ratte krabbelte aus dem Wasser und schüttelte ihren klumpigen Körper. Ihre Nachkommen flogen ab wie Geschütze und landeten um sie herum auf dem teils sandigen, teils schlammigen Boden. Die Ratte krabbelte unterdessen zutraulich auf Liberty Bell zu und kroch auf ihren Schoß. Die drei kleinen Ratten brauchten einen Augenblick, um sich zu orientieren, dann drängelten sie sich ebenfalls an Liberty Bell, erklommen ihre nackten Knie, und dockten gierig wieder an ihrer Futterstelle an. Sie mussten noch sehr frisch sein, sie hatten statt Fell nur Fellflaum, was sie nicht niedlicher machte, im Gegenteil.
    »Eve, liebe Eve«, murmelte Liberty Bell und streichelte das nasse, wenig attraktive Rattenfell. So wie sie da im Schlamm hockte, bekleidet wie eine Bettlerin, mit wirren, verfilzten Haarsträhnen, wenn man so wollte,

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