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Liberty: Roman

Liberty: Roman

Titel: Liberty: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbob
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aber es ist vollkommen still. Ich öffne die Tür zum Wohnzimmer. Vater liegt mit geschlossenen Augen und offenem Mund ausgestreckt auf dem Sofa. Ein Glas mit einer goldfarbenen Flüssigkeit steht auf dem Couchtisch, Whisky. Aber irgendetwas ist nicht in Ordnung. Ich schaue zur Verandatür, die offen steht, um etwas Luft ins Zimmer zu lassen, aber das Moskitonetz davor … das Netz ist aufgeschnitten, ein großes Dreieck hängt herunter. Ich sehe mich um. »Vater«, sage ich. Das große Sony-Kurzwellenradio ist verschwunden, die B&O-Anlage steht aber noch da. »Vater«, sage ich noch einmal und rüttele an seiner Schulter. Er schlägt die Augen auf.
    »Das Radio ist weg.«
    Er setzt sich auf.
    »Was?« Dann sieht er sich um.
    »Verdammt«, sagt er. »Wo ist Zaidi?«
    »Ich habe ihn nicht gesehen, als ich kam.« Vater steht auf, geht zu dem Netz an der Tür, steckt die Hand durch das Loch.
    »Zaidi!«, ruft er. Die Hunde kommen mit wedelnden Schwänzen angelaufen. Vater dreht sich um und schaut auf den Couchtisch. »Meine Whiskyflasche und der Tabaksbeutel sind auch weg.«
    »Lass uns draußen nachsehen.«
    Wir gehen ums Haus. Wecken den Gärtner Philippo.
    »Zaidi war da, als ich ins Bett gegangen bin«, erklärt er.
    »Zum Teufel!«, flucht Vater.
    »Was denn?«
    »Ja, sicher, die Hunde haben nicht angeschlagen, weil Zaidi es getan hat«, sagt er.
    »Natürlich. Er hat gesehen, wie du geschlafen hast, dann hat er das Netz aufgeschnitten, das Schloss geöffnet und sich eingeschlichen. Wenn du aufgewacht wärst, hätte er immer noch sagen können, er käme, um dich zu wecken, weil draußen Diebe sind.« Vater sieht mich an.
    »Wenn ich aufgewacht wäre, hätte ich vermutlich sein panga zu spüren bekommen«, meint er. Vielleicht hat er recht. Die Afrikaner, so heißt es, werden übertrieben brutal, wenn sie Angst bekommen. Es existieren Geschichten von Leuten, die nachts gebremst haben, weil ein frisch gefällter Baum quer über der Straße lag; sie wurden mit pangas zerstückelt und das Auto wurde gestohlen. Es gibt Geschichten von Häusern, die von einer Räuberbande mit einem Lastwagen heimgesucht wurden – hinterher war das gesamte Haus leer. Vater hat mir erklärt, wenn so etwas passieren sollte, hätten wir uns sofort in eine Ecke auf den Boden zu setzen, die Augen zu schließen und das Gesicht zur Wand zu drehen, um sie nicht anzusehen. Wir müssen sagen, dass sie alles mitnehmen dürfen. Damit wir nicht zerstückelt werden. Aber es gibt immer eine Menge Geschichten. Wäre der Alte wie die paranoiden Weißen, dürfte ich nie nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus. Wir haben die Absprache, dass ich meine Jeans, meine Jeansjacke und die Turnschuhe abliefere, wenn ich nachts einem Dieb begegnen sollte, und nackt nach Hause gehe.
    Wir gehen zurück ins Wohnzimmer.
    »Merkwürdig, dass er die Stereoanlage nicht mitgenommen hat«, sagt Vater und blickt auf seine B&O-Anlage.
    »Er wusste nicht, was es ist. Als Marcus sie das erste Mal gesehen hat, dachte er, es wäre eine europäische Makonde.«
    Letzter Schultag. Samantha kommt aus ihrem Klassenzimmer. Ihre Schultertasche zieht sie über den Betonboden hinter sich her.
    »Samantha«, sagt Mr. Harrison hinter ihr. Sie bleibt stehen. Ohne sich umzudrehen. Ohne zu antworten. »Geh anständig mit der Tasche.« Sie dreht sich langsam um.
    »Wie geht man denn anständig?«
    »Heb sie auf«, sagt Mr. Harrison.
    »Das entscheide ich. Es ist meine Tasche.«
    »Aber es sind die Bücher der Schule.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Möchtest du gern ins Büro kommen?«, fragt Mr. Harrison. Samantha zuckt die Achseln. Was wird sie jetzt tun? Was wird er unternehmen? Sie bleibt stehen und wartet. Mr. Harrison sieht ungeduldig aus. Er möchte gern ins Lehrerzimmer, eine Tasse Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen. Die Pause zerrinnt ihm zwischen den Fingern. Samantha imponiert er überhaupt nicht. Sie hat alle Zeit der Welt. Sie geht im Unterricht auf die Toilette und raucht. Es ist nicht die interessanteste Konfrontation der Welt, aber die beste, die wir im Moment haben. An die fünfzehn Schüler verfolgen die Entwicklung, wahren dabei aber einen gewissen Abstand. Dann zeigt sich ein Lächeln auf Mr. Harrisons Lippen. Er geht auf Samantha zu, nimmt ihr den Riemen aus der Hand und legt ihn ihr über den Kopf, fasst Samanthas Arm und hebt ihn an, bis er auf der Tasche liegt, die nun an dem Schulterriemen zwischen ihren Brüsten hängt. Hübsch.
    »So«, sagt Mr. Harrison und klopft

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