Liberty: Roman
Alten.
»Ja, sicher«, sagt er und steht aus seinem Stuhl auf, legt den Economist beiseite. Ich weiß nicht, ob er kochen wollte, aber jetzt fängt er an.
»Dein Vater kocht?«, fragt Sharif skeptisch.
»Das kann er gut. Der Koch hat frei.«
»In Dänemark – kochen da die Männer?«
»Euer Koch ist doch auch ein Mann.«
»Na ja, aber er ist der Koch«, erwidert Sharif.
»Komm.« Ich gehe voraus in die Küche. Der Alte knetet Teig.
»Sharif ist Moslem«, sage ich auf Englisch.
»Bleib ruhig«, antwortet Vater und sieht Sharif an. »Es gibt kein Schweinefleisch.« Dann fängt er an, Sharif zu erzählen, wie man in alten Zeiten in Dänemark Schweinsfüße eingelegt hat. »Die habe ich bei meiner Großmutter bekommen. Barbarisch, oder?« Vater lächelt, Sharif lacht.
Samstagnachmittag nimmt Marcus mich mit zum YMCA . Dort wird eine Limo-Disco veranstaltet. Seine Freundin Rosie ist dort mit ihrer Freundin Claire. Die Musik spielt in der großen Turnhalle, in der manchmal auch das Boxtraining stattfindet.
»Lass uns tanzen«, sagt Marcus und bewegt seinen Körper im Rhythmus, ohne die Füße zu heben.
»Ja.« Rosie schaut mich an. »Du kannst mit Claire tanzen.«
»Ich bin weiß, ich kann nicht tanzen«, sage ich, obwohl ich mit Irene im TPC getanzt habe – aber ich habe nie vor anderen Menschen getanzt.
»Alle können tanzen«, erwidert Marcus. »Das ist wie gehen. Du musst nur gleichzeitig an eine nackte Frau denken, und plötzlich bewegst du dich irgendwie erotisch – das ist tanzen.«
»Also!« Rosie gibt ihm einen Klaps. Claire reagiert nicht. Draußen scheint die Sonne. Es ist sehr hell. Rosie beginnt an der Seite des Raums zu tanzen. Marcus bewegt sich. Claire schaut mich mit einem Blick an, bei dem ich nicht weiß, was er zu bedeuten hat. Dann nimmt Marcus Rosies Hand und sagt etwas zu ihr. Sie kommen auf uns zu, nehmen meine und Claires Hand und ziehen uns auf die Tanzfläche. Okay, ich versuche es. Ich fühle mich steif, eckig, ungelenk. Ich fühle mich dumm. Ich bin wie mein Vater. Ich würde in jedem Lokal, in dem getanzt wird, an der Wand stehen. Ich würde versuchen, mit wem auch immer ein Gespräch anzufangen, egal ob es ein Mann ist, ob er hässlich ist oder beides – nur um beschäftigt auszusehen, als ob ich wüsste, was ich tue.
Marcus kann sich der Musik hingeben, als würde er sich in sie hineinträumen, das ist nicht künstlich. Ich habe es in den Wohnquartieren der Arbeiter auf der TPC gesehen; die Kinder tanzen, auch wenn sie ganz klein sind. Wenn ich mich bewege, denke ich die ganze Zeit daran, was die anderen sehen. Marcus baut sich vor mir auf.
»Die Hüften«, sagt er. »Du musst sie wie ein Kugellager spüren, hoch, runter, und überall rund.« Er bewegt sich. Ich kann nicht.
»Ich bin zu weiß«, sage ich auf Swahili. Rosie tanzt auf mich zu. Legt ihre Hände auf meine Hüften, versucht, mich zu dirigieren. Ich denke daran, wie es wohl aussieht – sehe mich um. Der einzige weiße Mann im Raum. Ein paar Mädchen lachen. Schauen sie etwa mich an?
»Ich kann das nicht«, sage ich, aber Rosie hält mich fest. Sie dirigiert mich mit ihren Händen, und gleichzeitig bewegt sie mich mit ihrem Unterleib. Und ich stelle sie mir nackt vor. Bewege mich mit ihr. Hinterher trinken wir Cola und rauchen Zigaretten im Café. Irene hat mir etwas beigebracht. Vielleicht kann ich tanzen wie ein weißer Neger.
Die Ferien stehen unmittelbar bevor. Wir essen zu Abend. Ich erledige die letzten Hausaufgaben und rufe ins Wohnzimmer: »Ich gehe noch zu Marcus.«
»Okay«, sagt Vater. »Aber komm nicht zu spät nach Hause. Morgen ist der letzte Schultag.«
»In Ordnung«, antworte ich und bin aus der Tür. Ein kurzer Spaziergang, und ich sitze in Marcus’ Zimmer hinter dem Larsson-Haus. Wir hören Black Uhuru und rauchen, bis ich nach Hause muss.
»Ich komme mit«, sagt Marcus.
»Das brauchst du nicht.«
»Doch, es ist gefährlich.«
»Nun mach mal halblang. Es gibt auf dem ganzen Weg Straßenlaternen.«
»Ja, großes Problem. Alle können bei dem Licht deine Farbe sehen.« Wir gehen den kleinen Pfad bis zur Kilimanjaro Road und wünschen uns am Ende eine Gute Nacht; Marcus bleibt stehen, bis ich in unsere Einfahrt gehe. Die Hunde bellen nicht. Sie kennen meine Schritte und laufen mir ruhig entgegen. Ich schaue hinüber zum Haus der Dienstboten, kann Zaidi, den Nachtwächter, aber nicht sehen. Vielleicht macht er gerade seine Runde. Ich gehe den Haupteingang hinein. Das Licht brennt,
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