Liberty: Roman
Ladung schief über dem Rand liegt. Er dreht, ein knirschendes Geräusch – vielleicht eine Bewegung? Das Knirschen wird lauter. Die Augen der Frau. Ihre Hände zerquetschen meine Knochen, die Planken bewegen sich, knicken die nächste Eisenstange problemlos ab, poltern krachend über die Kante rechts von der Frau. Omary springt zur Seite. Die Planken links von der Frau folgen – jetzt haben sie Platz. Sie rutschen langsam auf sie zu, bewegen sich lediglich ein kleines Stück, eine Handbreit –, und sie öffnet den Mund, umklammert meine Hände und lockert den Griff, starrt mich überrascht an. Blut quillt ihr aus dem Mund, der Kopf fällt schlaff zur Seite und schlägt mit einem dumpfen Geräusch in dem strömenden Regen auf eine Planke. Ich steige herunter, schaue Omary an, schüttele den Kopf. Der Polizist nähert sich, ich gehe auf ihn zu und sehe die Frauen, die uns stumm zusehen.
»Was?«, fragt der Polizist. Ich schüttele den Kopf. Die Frauen sehen es und brechen in ein gemeinsames Geheul aus; einige schlagen sich auf die Brust, andere ins Gesicht. Ich gehe zu Omary, der Polizist folgt mir. Er ist ungehalten, aber das Einzige, was ich ohne Geld machen kann, ist, Zigaretten anzubieten. Ich denke an das Mädchen im Begleitfahrzeug, ihren Fuß; vielleicht hat man ihn im KCMC bereits abgesägt, aber zumindest ist sie am Leben. Jonas versteht überhaupt nichts. Sein Widerwille, der Polizei etwas für die Mühe zu zahlen, nachts im Regen stehen zu müssen – eines Tages könnten sie es ihm heimzahlen. Sie schulden ihm ein Problem. Omary muss mit der Leiche der Frau zum KCMC fahren, sobald das Begleitfahrzeug zurück ist. Ich muss zum West-Kilimandscharo und der Frau des Traktorfahrers die Neuigkeit berichten; ihr Mann kommt ins Gefängnis. Ich muss zu dem Mann der toten Frau; die Verwandten müssen das Kind abholen. Und ich will die Familie des Mädchens mit dem gebrochenen Fuß finden. Es beginnt hell zu werden. Aus weiter Entfernung hören wir den Kranwagen, der den Berg herunterpoltert. Vielleicht kann er die anderen Frauen mit zurücknehmen – ich glaube kaum, dass sie heute noch zum Markt wollen.
Das Tagewerk der mzungu : Der Fahrer ist auf dem Weg zum Karanga Prison, und seine Frau und seine Kinder müssen hungern. Ein Tagelöhner wird Witwer, ein Kind hat seine Mutter verloren. Niemand regt sich über die mzungu auf. »Eeehhh« , sagen sie am West-Kilimandscharo, »Jonas ist Gott. Er ist ein großer Waldmann in Schweden, und jetzt ist er gekommen, um uns alles beizubringen. Wir werden reich durch ihn.« Wer ist reich? Das junge Mädchen, das jetzt ohne Fuß ist?
Gegen Ende des Tages komme ich nach Hause. Mein Mund kann nichts essen, obwohl der Magen leer ist, zusammengeschnürt. Ich schaue auf das Brot und die Hand, die es zum Mund führen soll. Und habe dabei den Mund der Frau im Sinn. Das Blut, erst brodelt es auf, dann überschwemmt es die Zähne, tritt über die Lippen, rinnt über das Kinn; dick, warm, sterbend. Nur Kaffee kann ich trinken. Außen schwarz und innen schwarz. Der Kaffee löst den Knoten in mir, bis ich mich übergeben kann.
Christian
Ich sitze in meinem Zimmer. Höre ein Auto. Gehe ins Badezimmer und schaue aus dem Fenster. Ein Taxi. Meine Mutter. Wieso kommt sie hierher? Und in einem Taxi?
Vater geht hinaus. Ich bleibe im Haus.
»Ist Christian zu Hause?«
»Nein«, sagt er, obwohl er weiß, dass ich da bin. Warum sagt er das? Ich bin sicher, er weiß, dass ich zu Hause bin. Allerdings ist das Motorrad in der Werkstatt. Vielleicht hat er es vergessen und denkt, ich wäre unterwegs.
»Ich würde ihn gern sehen«, sagt sie.
»Ich glaube, er hat keine Lust, dich auf der Simba Farm zu besuchen.«
»Ich wohne dort nicht«, sagt Mutter. »Nicht mehr.«
»Oh, ist etwas vorgefallen? Wo wohnst du jetzt?«
»Im Uhuru Hostel.«
»Aber …«, beginnt Vater, hält inne. Er steckt seine Hände in die Hosentaschen; sie gehen auf die Stühle zu, die neben der Eingangstür stehen. Vom Fenster aus kann ich sie nicht mehr sehen.
»Hast du … jemanden kennengelernt?«, erkundigt sie sich.
»Nein.«
»Er ist auch mein Sohn«, sagt sie. »Christian«, fügt sie hinzu, als gäbe es irgendeinen Zweifel. »Wo ist er?«
»Er hat nicht vergessen, dass du ihn nicht mitgenommen hast, als du die TPC verlassen hast. Jedenfalls sagt er das. Mehrfach: ›Ich habe es nicht vergessen.‹« Mein Vater lacht resignierend auf. Ich höre an seiner Stimme, dass er sich gesetzt hat. Er hat ihr nichts
Weitere Kostenlose Bücher