Liberty: Roman
angeboten.
»Wie sollte ich ihn denn mitnehmen – dorthin?«
Er antwortet nicht.
»Wollen wir uns scheiden lassen?«, fragt er.
»Was sagt Christian?«
»Ist es dir nicht egal?«
»Bitte«, wiederholt sie, »ich möchte es gern wissen.«
»Er hat keinen Respekt, weder vor dir noch vor mir.«
»Und vor sich – hat er vor sich Respekt?«
»Ich glaube schon, auf seine Weise«, sagt Vater.
»Tja, das musst du wahrscheinlich sagen. Aber ist das genug?«
»Das … Haben wir ihm das nicht beigebracht?«
»Ja, vielleicht«, erwidert sie. »Ich fliege übermorgen.«
»Hat es nicht geklappt?«
Es vergeht eine Weile, bis sie antwortet.
»Hättest du doch nur mit mir darüber geredet«, sagt sie mit belegter Stimme. Dann schluchzt sie: »Über Annemette.«
»Ich konnte nicht.« Sie weint. Ich glaube, er hält sie in den Armen. Tröstet sie. »Sollen wir es noch einmal versuchen?«, fragt Vater. Jedenfalls glaube ich, dass er es gesagt hat. Wie kann er so etwas fragen?
»Nein«, erwidert sie. »Ich kann hier nicht leben. Ich will nach Hause.« Es ist wieder lange still. Er sagt nicht, dass er auch nach Hause will. Ich will jedenfalls nicht nach Hause. Ich bin zu Hause.
»Sag Christian, ich wohne im Uhuru Hostel. Ich würde ihn gern sehen, bevor ich aufbreche.«
»Soll ich dich zum Flughafen fahren?«, bietet Vater an. Der Welt größter Pantoffelheld. Sie antwortet nicht. Ich hoffe, sie hat den Kopf geschüttelt. Schluss mit Léon Wauters – vielleicht mag er auch schwarze Johannisbeeren. Marcus sagt, schwarze Beeren hätten den süßesten Juice.
»Du musst«, sagt Vater.
»Das ist irgendwie total verkehrt«, entgegne ich. »Sie war es doch, die gegangen ist.«
Vater wendet den Blick ab und sagt: »Annemette.«
»Trotzdem.«
»Wir hätten uns scheiden lassen, wenn Annemette nicht gekommen wäre.«
»Sie hat nicht einmal gefragt, ob ich mitwollte.«
»Wärst du denn mitgegangen?«
»Das ist doch gar nicht die Frage. Tatsache ist, dass sie mir nicht einmal das Angebot gemacht hat.«
»Sie würde dich gern mit nach Dänemark nehmen, wenn du möchtest.«
»Dänemark?«
»Du kannst selbst entscheiden. Ich werde dich nicht beeinflussen.«
»Was denn entscheiden?«
»Ob du hier wohnen möchtest oder zurück nach Dänemark willst, um bei deiner Mutter zu wohnen.«
»Das ist meine Wahl?«
»Ja.«
»Aha«, sage ich. Vater seufzt.
»Du gehst hin und verabschiedest dich von ihr. Du weißt genau, dass du es tun musst. Ich will das nicht diskutieren. Und versuch nicht, dich zu drücken. Ich frage sie, ob du gekommen bist.«
»Irgendwie ist das total verkehrt«, erkläre ich noch einmal. Er senkt den Kopf und sieht mich unter den Augenbrauen heraus an. »Ja, ja«, gebe ich nach.
Ich stehe auf und klopfe mir auf die Taschen, um sicherzugehen, dass ich Zigaretten und Feuer dabeihabe, gehe zur Tür.
»Gehst du jetzt sofort?«
»Ja.«
Ich rauche den ganzen Weg bis zum Uhuru Hostel Kette, erfahre die Zimmernummer an der Rezeption, finde die Tür, stehe davor und zünde mir eine neue Zigarette an. Mein Arm fühlt sich an, als wäre er aus Holz, als ich anklopfe. Sie öffnet.
»Christian!« Sie schaut rasch über die Schulter. Ihre Sachen liegen auf dem Bett verstreut, Souvenirs und Kleider. Das Foto von Annemette steht auf dem Nachttisch. »Komm rein«, sagt sie und hält die Tür auf. »Oder wollen wir eine Cola trinken gehen?« Ich bleibe stehen. Es macht sie nervös. »Hat dein Vater dir erzählt, dass du in Dänemark bei mir wohnen kannst, wenn du willst?«, fragt sie hastig. Ich zeige auf den Nachttisch, das Bild: »Du hast ein Foto von Annemette mitgenommen und Vater und mich in der TPC verlassen. Du kannst das Bild mit nach Dänemark nehmen.«
Ich drehe mich um. Ein paar Tränen steigen auf, aber ich halte sie zurück.
Die Weihnachtsferien sind traurig. Heiligabend hat Vater Jonas, Katriina und die Mädchen zum Abendessen eingeladen. Am Tisch wird nicht viel geredet. Solja und ich gehen in mein Zimmer und spielen Mensch-ärgere-dich-nicht, bis Rebekka hysterisch wird.
»Ich will nach Hause, zu Marcus«, schreit sie. Solja lächelt säuerlich über das Spielbrett, bis sie gerufen wird und Larssons nach Hause fahren. Vater schüttelt den Kopf.
»Was ist?«, frage ich.
»Ist das nicht eigenartig. Die Kleine wollte nach Hause zu ihrem Ersatzvater.«
»Ich finde das nicht besonders eigenartig. Er redet mit ihr.«
»Ja, vielleicht hast du recht«, sagt Vater.
Silvester sind wir auf einem
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