Liberty: Roman
dort steht eine Gruppe Frauen und jammert; es muss sich um die anderen Passagiere des Leiterwagens handeln. Der Vorarbeiter der Tagelöhner, bwana Omary, steht zusammen mit einem Polizisten im Licht der Traktorscheinwerfer. Wie ich sehe, ist die Bretterladung am vorderen Ende des ersten Leiterwagens verrutscht. Omary muss im Begleitfahrzeug gesessen haben.
»Am besten, wir warten auf den Kran. Dann können wir die Planken vorsichtig anheben«, sagt Omary zu dem Polizisten. Im Wald gibt es einen Traktor mit einem Kran, der die Baumstämme auf die Leiterwagen lädt, um sie ins Sägewerk zu transportieren.
»Nein«, sagt der Polizist. »Sie könnte sterben. Wir können nicht warten.« Der Regen strömt herab, und meine Stiefel versinken im Matsch des klebrigen vulkanischen Staubs, als ich auf sie zugehe.
» Shikamo mzee «, grüße ich sie nacheinander.
» Bwana Jonas ikwa wapi ?«, fragt Omary. Ich teile ihm mit, dass Jonas nicht kommen kann.
»Und wer bist du?«, fragt der Polizist wütend.
»Er arbeitet für das Projektbüro«, erklärt Omary.
»Und was willst du hier?«
»Wenn ich irgendwie behilflich sein kann …«, beginne ich, breche den Satz aber ab.
»Wahnsinn«, sagt der Polizist. Ich entdecke den Fahrer des Traktors, der mit dem Kopf in den Händen am Straßenrand sitzt. Ich gehe zu ihm. »Halt dich von ihm fern«, sagt der Polizist, und der Fahrer hebt den Kopf – er blutet aus der Lippe. Heute wird er noch oft geschlagen werden.
»Marcus«, sagt Omary. »Wir müssen die Ketten lösen.« Ich gehe mit ihm zu dem Anhänger. Diese Bergstraße in der Regenzeit mit mindestens zwanzig Tonnen Planken am Arsch herunterzufahren. Wahnsinn. Der Leiterwagen besteht aus Achsen mit dicken kleinen Rädern, die einen Eisenrahmen mit Eisenquerträgern und Löchern an den Seiten tragen, um Eisenstangen senkrecht hineinzustecken, damit die Planken nicht herunterrollen. Am Ende wird die Ladung mit drei Eisenketten verspannt, um sie zusammenzuhalten, wenn der Anhänger von den Schlaglöchern der Straße durchgeschüttelt wird. Sie fahren immer mit Überlast. Heute Nacht ist eine der Ketten gerissen, und die Planken haben die erste senkrechte Eisenstange wie ein Stück Draht verbogen. Doch die Ladung wird noch von den beiden anderen Ketten zusammengehalten, deshalb können wir die Planken nicht nach und nach herausziehen, um Platz für die eingeklemmte Frau zu schaffen.
Wir klettern hinten auf den Traktor, und dann sehe ich … eeehhh – zwischen den Planken sind zwei große Augen zu erkennen, ganz weiß und rund in einem Gesicht, das vom Regen und Schweiß glänzt. Nur weil ich es weiß, sehe ich, dass es sich um eine Frau handelt. Sonst sehe ich ausschließlich Angst. Ein ganzes Fuder ist über sie gestürzt. Die Bretter reichen ihr bis zum Bauch.
»Wir werden dich schon rausholen«, sagt Omary. »Bald kommt Hilfe.« Die Frau hört ihn, antwortet aber nicht – gelähmt. Omary gibt mir mit der Hand ein Zeichen, zurückzuklettern. Das Kind am Polizeiwagen schreit immer noch. Er zieht mich ein Stück beiseite und flüstert: »Es ist ihr Kind, das schreit. Sie hat noch geschafft, es vom Rücken zu heben.«
»Was sollen wir machen?«
»Wir müssen die Ketten lösen. Die Polizei will nicht auf den Kran warten. Hast du Geld dabei?« Er denkt an Schmiergeld.
»Kein Geld.« Jetzt kommen die anderen Frauen näher, eine trägt das schreiende Kind.
»Mein Kind. Ich will mein Kind sehen!«, ruft die Frau auf dem Anhänger.
»Geht zurück, das ist gefährlich«, sagt Omary. Der Polizist kommt.
»Fangt an!«, sagt er zu uns, bevor er die Frauen verscheucht.
»Du kletterst hinten auf den Traktor und hältst dich bereit, wenn ich die Kette löse«, sagt Omary und wischt sich mit der Handfläche den Regen vom Gesicht.
»Meinst du, es klappt?«
»Das liegt in Gottes Hand«, sagt Omary. Ich klettere auf den Traktor und zwinge mich, dieses verschreckte Tier anzusehen, diese Frau.
»Mein Kind«, flüstert sie. Ich habe keine Antwort. Stehe auf der Kante des Leiterwagens vor der Ladung, beuge mich vor, greife nach den Händen der Frau.
»Es wird schon gehen«, sage ich – aber wohin? Zur Hölle?
»Bereit«, sagt Omarys Stimme unten neben der Ladung. Die Regentropfen klatschen auf meine Regenjacke. Der Blick ist auf die Augen der Frau geheftet. Das Geräusch von metallischem Kratzen auf Holz, als Omary beginnt, an der mittleren Kettenzwinge zu drehen – auch er läuft Gefahr, unter den Planken begraben zu werden, weil die
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