Liberty: Roman
passiert ist. Sie sagen: »Nein, das kann doch nicht wahr sein. Bleib bei uns.« Also schlafe ich irgendwo im Haus, wie eine Art Haustier.
Die Grundschule habe ich nach der siebten Klasse beendet, ich war damals dreizehn Jahre alt. Es gab keine Secondary School in Seronera, außerdem hatte meine Familie kein Geld, und ich war ihr egal. Meine weißen Freunde kamen aufs internationale Internat in Nairobi. Meine Zukunft sah anders aus. Ich fuhr mit Gerhards deutschen Eltern zu einem neuen Nationalpark, um mit ihren kleinen Kindern zu spielen. Aber diese deutsche Familie ist verschwunden und hat mich auf einem steinigen Lebensweg zurückgelassen. Damals. Nun kämpfe ich darum, ein Mitglied der Larsson-Familie aus Schweden zu werden.
PROTEINE
Nach den Einkäufen fahren wir zum Kibo Coffee House am Clock-Tower-Kreisel, dem Ort, an dem man sich in der Stadt trifft. Es ist herrlich, mit den weißen Menschen zusammen zu sein. Ich trinke feinen Kaffee und esse feine Snacks. Doughnuts – das ist Leben. Erwisch eine Welle und reite auf ihr. Es gibt richtig gutes Sahneeis, es gibt heißen Kaffee und Eiskaffee mit Milch und Rohrzucker von der TPC und einen Löffel Sahneeis obendrauf. Das Auto steht direkt unter uns, so dass ich es im Blick behalten kann; und die Einkaufskörbe sind voller Proteine, der besten Ernährung, wie ich gelernt habe.
Als Gerhards Eltern damals abflogen, suchte ich den Schuppen meiner Eltern in Moshis Slumviertel Soweto, aber Mutter schickte mich zu ihrer Tante, damit Vater mich nicht mit dem Stock umbrachte. Die Tante hatte kein Geld, aber sie ist gläubige Christin und kennt die Menschen. Sie schickt mich ins KCMC – dem Kilimanjaro Christian Medical Center –, um mir dort eine Arbeit zu suchen. Ich gehe den ganzen Weg auf meinen dünnen Beinen. Das große weiße Gebäude ist Tansanias bestes Krankenhaus, mit Gottes Geld von den Israelis gebaut.
Ich bekomme einen Job im NURU , der Nutrition Rehabilitation Unit. NURU bedeutet Licht auf Swahili. Die Chefs sind aus England und bringen den Müttern bei, ihren Kindern ordentliches Essen zu geben. Mehrere Wochen wohnen sie in Baracken und werden unterrichtet: Tier- oder Menschenkacke darf nicht zu dicht an einem Topf mit Grütze liegen. Wir haben Krankenschwestern, die zeigen, wie man sich auf die Geburt eines Kindes vorbereitet, und die ihnen von Krankheiten wie Würmern und Bilharziose erzählen. Und die Väter müssen kommen, um zu lernen, wie man ein sicheres Feuer zum Kochen einrichtet, damit nicht die Kinder gebraten werden.
Ich arbeite für George, der im Küchengarten Nahrungsmittel für die Kinder anbaut. Die Krankenschwester zeigt den Müttern, welches Essen zusammenpasst, damit der Magen sich nicht verkrampft, die Haut rot und die Arme und Beine dünn wie Streichhölzer werden. Ich erzähle ihr von damals, als ich hungrig auf Fleisch gewesen bin.
»Dir fehlen Proteine, und die müssen nicht unbedingt vom Fleisch sein«, sagt sie. »Du kannst Eier, Bohnen oder Fleisch essen, um deine Muskeln aufzubauen. Und du brauchst Kaninchenfutter, das ist gut fürs Gehirn, Milch für die Knochen und Maisgrütze für die Energie, damit du laufen kannst wie eine Gazelle.«
Jeden Tag gehe ich dorthin. So lerne ich auch, wie die Dinge im Leben verteilt sind. In Majengo haben wir Feldwege, schlechte Häuser ohne Wasser und Strom und viele Bars, in denen die Männer mbege trinken und Frauen kaufen. Doch nach dem Kreisel am YMCA kommt Shanty Town mit großen Häusern, gutem Asphalt und vornehmen Autos. Meine Tante sagt, Shanty Town sei eine Stadt aus Blechhütten gewesen, als ihr Vater jung war, aber dann kamen die Deutschen mit der Eisenbahn, und Moshi wuchs. Und wichtige Menschen ließen die Schuppenstadt abreißen, um selbst dort wohnen zu können.
Jetzt leben in dem Stadtteil viele Weiße, die hier sind, um dem Neger zu helfen, aber auch reiche Schwarze mit guter Kleidung und satten Mägen.
Ich spiele gern mit den Kindern im NURU . Und ich helfe George, einem Eingeborenen, der sich um den Bauernhof des Krankenhauses kümmert. Er bringt es mir bei. Ich versorge die Kaninchen, die Hühner und passe aufs Gemüse auf. Das Geld gebe ich meiner Tante, die eigentlich in ihrem Haus keinen Platz für mich hat, denn es gibt nur ein Zimmer, und sie hat bereits zwei Töchter ohne einen Mann. Meine Aufgabe ist es, mich nach einer neuen Unterkunft umzusehen, in der ich mich nützlich machen kann, um mir zu einem besseren Leben zu verhelfen.
Und nun sitze ich mit
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