Liberty: Roman
heiraten?«
»Nein«, antwortet sie. »Wir wollen nur ein bisschen Geld verdienen und dann wieder nach Hause.«
Okay. Ich frage nicht, wie sie ihr Geld verdienen. Ich höre Schritte auf der Treppe.
»Ah, das ist wahrscheinlich mein Freund«, sagt Olivia. Zur Tür herein kommt ein Typ in einem blauen Overall mit Öl an den Händen. Der Fahrradmechaniker.
»Hej«, grüßt er. »Wie geht’s?« Auf Englisch.
»Gut«, erwidern Olivia und Sheila. »Das ist Christian aus Tansania«, stellt Sheila mich vor.
»Hej«, grüße ich. Er nimmt sich eine Tasse Kaffee und fragt, was ich in Tansania gemacht habe. Ich erzähle. Wir unterhalten uns ein wenig, bis der Groschen endlich fällt – langsam. Er fällt, und ich denke, ja, natürlich, wieso hast du das nicht sofort kapiert? Der Fahrradmechaniker ist ihr Zuhälter, möglicherweise ist er gekommen, um zu kontrollieren, ob sie arbeiten? Ich habe gehört, es gibt im Osten der Stadt eine Kneipe, die Das Narrenschiff heißt und in der man immer schwarze Huren treffen kann. Vielleicht sind sie abends dort. Jetzt ist Freizeit oder Überstunden. Der Mann ist ziemlich nett, trinkt eine Tasse Kaffee, raucht eine Zigarette, fragt, was ich mache, geht wieder.
»Na, ich muss sehen, dass ich nach Hause komme. Ich habe noch Hausaufgaben zu erledigen«, erkläre ich.
»Ja, es ist wichtig zu studieren«, sagt Olivia, während Sheila etwas auf ein Stück Papier schreibt, das sie mir überreicht.
»Komm mal irgendwann wieder auf einen Kaffee vorbei«, sagt sie. »Aber ruf kurz vorher an, damit du weißt, ob wir Zeit haben.«
»Danke«, erwidere ich. Sie schmunzelt frech, und ich habe Lust zu bleiben – und mit ihr hinter die geschlossene Tür zu gehen.
Ich trete aus dem Treppenhaus, stehe auf der Straße. Der Geschmack von Africafé am Gaumen und die Erinnerungen an Zaire-Rock kollidieren hart mit dem kalten Regen, der mir vom Wind ins Gesicht gepeitscht wird. Mein Gesicht fühlt sich starr an. Ich bohre die Hände in die Hosentaschen und gehe in Richtung Hafen. Der Klang von Zaire-Rock oder Reggae – ich halte es kaum aus, weil … es hier so grau ist. Obwohl es noch immer später dunkel wird als in Tansania, hat die Sonne doch keine Kraft; sie hängt lediglich schwach am Himmel. Niemand redet, niemand lächelt, alle rennen grau umher. Bei den Futtermittelfirmen biege ich ab und gehe in der Stadt in die Zentralbibliothek, dort ist es warm. Ich gehe zu den Kisten mit den Comics, nehme mir fünf Blueberry-Alben, setze mich und lese, bis ich Hunger bekomme. Verlasse sofort die Fußgängerzone, um der Menschenmenge zu entkommen – gehe durch kleinere Straßen. Das Narrenschiff steht plötzlich auf einem Schild, an einem Eckgebäude – die Kneipe mit den schwarzen Huren. Zum Teufel, nach Dänemark kommen und fette, leberpastetenfarbene Schweine ficken. Ich gehe rasch weiter. Ich rufe sie nie an, obwohl ich an Sheila denke, wenn ich mit den Händen unter der Bettdecke liege. Und an Samantha, Shakila, Irene.
Marcus
DER STEINDSCHUNGEL
Christian antwortet nicht auf meine Briefe, nicht mit einem einzigen Wort. Was zum Teufel in der Hölle auf Erden ist los? Ich muss wissen, wie es mit ihm und seinem Leben in Dänemark läuft. Hat er bereits ein Mädchen? Gibt es Geld für einen Kassettenrekorder, damit ich leben kann? Ich könnte ihm alles Mögliche zum Tausch schicken. Tansanische Schillinge sind Klopapier. Ich kann Schmuck und Makonde-Figuren, Kaffee, Cashewnüsse oder Batik schicken, um es in Dänemark zu verkaufen – alles legal.
Und ich sende Päckchen von Garvey Dread mit bhangi , versteckt in Tee-Packungen; Tanzania Tea Blend, Brook Bond Tea. Es steckt mitten in den Päckchen, eingewickelt in sehr dünne Küchenfolie; darüber, darunter und daneben ist Tee, damit kein Zöllner das Kraut riechen kann. Der Rauch kann ihn aufstehen lassen, ihn nach Afrika bewegen; so kann er die Danksagungen und Huldigungen vornehmen. Aber wenn der Zoll es findet, dann weiß er von nichts; es muss sich bei der Sendung um einen Fehler handeln, er kennt keinen Garvey Dread. Der Mann, der das geschickt hat, muss verrückt sein! Ich verstehe nicht, warum er nicht schreibt, es ist wie ein Stachel in meinem Fleisch, wenn keine Antwort kommt. Ich hoffe, er ist in Ordnung, und wenn etwas nicht okay sein sollte, dann soll er es mich wissen lassen, damit wir ehrlich miteinander umgehen und voneinander lernen. Es tut mir leid, dass ich ein Opfer bin, aber die Familie ist reich – Christian muss
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