Liberty: Roman
Exmann der jüngeren Schwester von Anders’ Vater ist? Der Frau, die auf Frischfleisch steht und Anders im Suff die Unschuld genommen hat? Aber ich frage nicht.
Wir arbeiten in einer großen spießbürgerlichen Villa und sollen Steinwoll-Ballen durch die Dachluke unters Dach bringen. Dort müssen die Steinwoll-Bahnen auf die bereits vorhandene Schicht genagelt werden: Nachisolierung, um Heizkosten zu sparen. Eine sehr weiße Beschäftigung – nicht sonderlich afrikanisch. Es ist kalt und dunkel dort oben. Wir dürfen nur auf die Dachsparren treten, sonst könnten wir direkt durch die Dachbodenbretter brechen, die so konstruiert sind, dass sie nichts als die Isolierung tragen können. Und die bereits vorhandene Isolierung ist von einer feinen Staubschicht überzogen, die aufwirbelt, im Hals kratzt und auf der Haut juckt. Steinwolle – Granit, das bis zur flüssigen Form erhitzt und dann zu Wolle aufgeblasen wurde, wie Zuckerwatte. Aber es ist noch immer Stein. Feine Härchen aus Granit, die sich überall in die Haut bohren. Es juckt. Wir schwitzen, klettern zwischen den Sparren umher, lachen, öffnen die Ballen mit den Steinwoll-Rollen, legen sie aus – es darf kein Zwischenraum bleiben, sonst strömt die Wärme aus.
»Das juckt grauenhaft«, sagt Anders, als der Onkel kommt.
»Ihr werdet euch dran gewöhnen«, entgegnet er.
»Hört es auf, wenn man sich geduscht hat?«, will ich von ihm wissen.
»Wenn ihr ein paar Mal zwischen eiskaltem und brühheißem Wasser wechselt, öffnen sich die Poren der Haut, und es wird abgespült«, erklärt er.
»Toll«, sagt Anders.
Am nächsten Tag müssen wir bei einem anderen Haus Fliesen für die Einfahrt und den Hof schleppen. Wir schwänzen die Schule, um zu arbeiten. Es ist hart, aber wir bekommen Geld in die Finger. Ich kaufe mir für den gesamten Lohn Langspielplatten – träume davon, DJ im Liberty in Moshi zu sein: das gute Leben.
Ich schreibe Samantha von meinen Gedanken, und was ich für sie empfinde. Mir ist schon klar, dass ich es ihr nie sagen könnte, so von Angesicht zu Angesicht, aber … ich liebe sie, vermisse sie. Ich würde gern ihren ganzen Körper küssen. Einen kurzen Moment zögere ich am Briefkasten. Dann lasse ich den Brief fallen.
Ich kann nicht ständig zu Anders gehen, aber ich kenne sonst kaum jemanden. Ich laufe in Aalborg mit den Händen in den Hosentaschen herum. Fühle mich ausgeschlossen. Wo soll ich hin? Es ist bedeckt, ich gehe am Kunstmuseum vorbei, und durch den Kildepark hinüber zur Busstation, um an einem coolen Flipper zu spielen, der in der Imbissbude steht. Sehe mir die Busse an, rauche Zigaretten. Ich kenne niemanden, zu dem ich fahren könnte. Das Geld habe ich für die Musik verbraucht. Niemand will hier meine abgetragenen Jeans oder meine ausgetretenen Turnschuhe kaufen. Ich habe keine Münzen mehr, schlage den Kragen hoch und trete hinaus in den Wind. Schwarze Frauen. Dort stehen zwei schwarze Frauen und unterhalten sich auf Swahili.
» Habari gani ?«, frage ich – wie geht’s.
» Nini ?«, antworten sie – was? Sie sind schockiert. Ich lache, sie lachen, wir lachen. »Wo hast du das gelernt?«, will eine von ihnen wissen. Ich erzähle. Sie stammen ursprünglich aus der Gegend von Mwanza. »Dein Akzent ist absolut perfekt«, sagt die andere.
»Was macht ihr hier?«, frage ich und füge hinzu: »In Dänemark?«
»Na ja, wir wohnen hier – im Stadtteil Vestbyen.«
Ich stelle mich vor. Sie heißen Olivia und Sheila. Sheila ist die Hübschere – üppig.
»Wollt ihr mit dem Bus fahren?«, erkundige ich mich.
»Nein, wir müssen nach Hause«, antwortet Sheila. »Kommst du auf einen Kaffee mit?« Wir gehen in die Weststadt und kaufen unterwegs Kuchen. Sie wohnen in einer Wohnung über einem Fahrradhandel in der Borgergade. Wir gehen die Hintertreppe hinauf und betreten die Küche. Die Tür zum Rest der Wohnung ist geschlossen.
»Wir setzen uns einfach hier hin«, sagt Olivia. Sheila schickt ihr ein merkwürdiges Lächeln. Ein kleiner Tisch mit drei Stühlen. Sie schalten einen kleinen Radiorekorder ein, der Zaire-Rock spielt.
»Africafé«, sage ich, als Olivia die Dose mit dem Pulverkaffee aus Tansania auf den Tisch stellt.
»Ja, meine Familie schickt ihn mir.« Und dann sitzen wir in der Küche, unterhalten uns auf Swahili, trinken Kaffee, essen Törtchen, rauchen Zigaretten, lachen. Ich frage noch einmal, was sie hier machen.
»Na ja, wir haben dänische Freunde«, sagt Sheila.
»Wollt ihr
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