Liberty: Roman
es wahr ist, dann geh zur Polizei. Ich will dieses Gerede jedenfalls nicht mehr hören.«
»Ich will nichts von Ihnen«, sage ich. »Aber warum kann ich nicht die Familie besuchen? Es ist auch meine Familie.«
»Es ist nicht deine Familie. Und wo sind deine Beweise für deine Behauptungen über Jonas? Es gibt sie nicht«, sagt bwana Knudsen wütend.
»Die Beweise sind in uns – unmöglich zu sehen.«
»Bleib weg«, sagt er, steigt ins Auto und fährt davon.
HEXEREI
Claire kommt zu meinem Haus. »Ich bin schwanger«, sagt sie.
»Du hast mit anderen Männern geschlafen«, sage ich.
»Es ist deins. Ich war bei niemand anderem.« Claire kann nicht lügen, denn ihr Gott hört alles.
»Aber du sagst, du hasst mich.«
»Nein«, sagt Claire. »Ich weiß es auch nicht. Mir ging es einfach so … eigenartig, so innerlich verwirrt. Als würde das Ganze explodieren.«
»Willst du in mein Haus ziehen?«
»Nein, erst musst du mich heiraten.«
»Ich will nicht heiraten«, sage ich. »Wir stammen nicht aus derselben Kirche.«
»Dann musst du die Kirche wechseln. Meine Kirche hat den wahren Glauben an Gott.« Es ist die Mutter, die aus ihrem Mund spricht.
»Meine Kirche ist ebenso richtig wie deine.«
»Ich hasse dich«, sagt Claire, und von einem Moment zum nächsten ist die Unterhaltung vorbei. Claire liegt auf dem Sofa über mir, fast nackt, und sie reißt an meinen Klamotten, um meinen Körper freizulegen.
»Du musst es jetzt tun«, sagt sie, als wäre sie von Geistern besessen. Das Gerede ist christlich, aber die Methoden stammen direkt aus dem Busch – Hexerei im Name Jesu. Nie zuvor habe ich so etwas bei ihr erlebt.
Hinterher frage ich sie noch einmal: »Willst du einziehen?«
»Ich bleibe bei meiner Mutter, bis ich das Kind zur Welt gebracht habe«, sagt sie, während sie ihr Kleid richtet und das Haar ordnet. »Ich weiß nicht, was ich tue.«
HÜHNERZAUBER
Alles Geld, das ich zusammenkratze, stecke ich ins Warenlager des Kiosks. Aber wer soll darin stehen?
Ich besuche meine Mutter.
»Gib mir meine größte Schwester, dann werde ich für sie sorgen«, sage ich. Meine Mutter ist böse auf mich, stimmt aber zu, weil sie selbst Probleme im Leben hat. Die größte meiner kleineren Schwestern heißt Ida und kann rechnen. Ich stelle sie in den Kiosk. Das Leben wird sonderbar. Ich habe ein Reihenhaus, aber ich schlafe im Kiosk, damit er nachts nicht geplündert wird. Ida schläft im Reihenhaus. Aber sie ist gut. Nur für das Essen und ein Dach über dem Kopf arbeitet sie von früh bis spät. Am späten Nachmittag macht sie im Kiosk eine Pause, wenn sie unser Essen zubereitet.
Claire macht mir große Sorgen. Soll sie mein Kind zur Welt bringen und es von ihrer frommen Mutter versorgen lassen, während sie selbst als Hausmädchen arbeitet? Das Kind wäre vom Beginn seines Lebens an zu religiös vernebelter Verwirrung gezwungen. Ich muss alles regeln und Claire dazu bringen, bei mir einzuziehen.
Sowie ich den Kiosk in Ordnung gebracht habe, beschaffe ich eine Ladung Abfallholz vom West-Kilimandscharo und gebe das letzte Kleingeld aus, um Handwerker anzuheuern, die im Garten hinter dem Haus ein Hühnerhaus bauen sollen. Ich brauche weitere Einnahmen, ich muss Valuta beschaffen, um eine neue Ausrüstung zu kaufen, mit der ich das Kopiergeschäft und eine große Diskothek betreiben kann.
Die Schulzeit hat mich das Alphabet trainiert, und das Lesen verschafft mir Vorteile. Die Genossenschaftsvereinigung betreibt einen Laden mit Futterstoffen und Medizin für Haustiere, und sie geben mir ein kleines Buch, in dem alles über die Produktion von Hühnchen erklärt wird.
Es dauert zwei Monate, um Hühner zum Verzehr zu produzieren. Ich bekomme sie als kleine Küken von einem Züchter, zwei bis vier Tage alt. Zuerst halte ich sie im Haus, im Raum unter der Treppe. Obwohl du nicht an Gott glaubst, liegst du in der kritischen Periode für kleine Küken jeden Abend auf den Knien: »Oh Gott, lässt du bitte das Elektrizitätswerk in Moshi die ganze Nacht ohne Unterbrechung laufen – sonst gibt es eine Katastrophe.« Die Küken werden gewärmt, eine Woche unter einer Sechshundert-Watt-Birne, eine Woche unter dreihundert Watt. Der Geruch der Hühnerscheiße hängt ekelhaft in sämtlichen Räumen, allen Klamotten. Ein grässliches Leben. Und nach zwei Wochen hinaus in den Schuppen und die Wärme auf zweihundert Watt absenken. Sechs Wochen im Schuppen, immer bei eingeschaltetem Licht, denn so fressen sie Tag und Nacht. Wenn
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