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Liberty: Roman

Liberty: Roman

Titel: Liberty: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbob
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er mir etwas anbieten, irgendeinen Job. Dieser Buchhalter, der meine Arbeit als Einkäufer übernommen hat, sitzt bereits im Karanga-Prison, weil seine Finger viel zu lang waren. Aber obwohl Jonas’ Leiche in der Erde liegt, fault es auch in der Luft um mich herum, und niemand mag es, wenn ihm dieser Gestank in die Nase steigt.
Christian
    Eines Tages komme ich aus der Schule nach Hause und finde einen Brief. Von Samantha. Endlich. Ich reiße ihn auf.
    »Ich habe die Schule verlassen. Aber ich glaube, für meine Zukunft ist es nicht von Bedeutung, denn ich will Kosmetikerin werden. Eigentlich ist das nur eine Schönheitsexpertin, aber es klingt imponierender, findest du nicht? Weißt du, mein Schädel ist vollkommen stoned, und heute Abend soll ich zu einem wirklich vornehmen skandinavischen Fest im Jacht-Club, ich hoffe, ich amüsiere mich. Treib’s nie mit einem Mädchen nur wegen ihres Körpers, okay? Denk immer dran. Mein Liebesleben ist total aufgeblüht, aber ich zweifele, ob du es billigen würdest, denn er ist alt genug, um mein Vater zu sein, aber er ist so nett, und vielleicht ist er ja auch so etwas wie eine Vaterfigur. Du darfst jetzt nicht wütend werden – ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich deswegen wirklich schuldig. Verstehst du, was ich meine? Egal, aber es ist schon eine sehr merkwürdige Beziehung, weißt du, der Typ ist achtunddreißig und ein Gast im Haus meines Vaters. Er wohnt jetzt schon ungefähr einen Monat hier, und es hat sich einfach ein starkes Band zwischen uns entwickelt – es ist mehr eine Freundschaft als eine sexuelle Beziehung, aber es ist auch nicht ohne Risiko, denn er ist ein Freund meines Vaters, und meine Schwester wohnt auch hier in Dar. Das Ganze ist also absolut heimlich, verstehst du, und das macht es auch zu einer abenteuerlichen Beziehung. Verstehst du, was ich dir zu sagen versuche?«
    Scheiße. Sie war so zu, dass sie vergessen hat, eine Absenderadresse auf den Brief zu schreiben. Ich kann ans Baobab Hotel in Tanga schreiben, aber wer weiß, ob es weitergeleitet wird? Ich muss hin. Ich muss dorthin. Bald. Es ist Frühling. Die Examina stehen bevor. Marianne geht zu ihren abschließenden Prüfungen und hat mich mehr oder weniger auf Eis gelegt. Mir ist es egal. Bald fliege ich nach Daressalaam.
Marcus
    EIN HUNDERTJÄHRIGER KOHLEMINENARBEITER
    Das Baby schreit und scheißt, die Hühner unter der Treppe tschilpen und scheißen, die Kunden am Kiosk schreien nach Bedienung. Immer wieder muss Claire ihre Brustwarze aus dem Mund des Kindes ziehen, hinauslaufen und Limonade verkaufen, dann wieder zurück ins Haus und dem Kind die Warze in den Mund gestopft, damit es im Haus nicht ständig nach Krankenwagensirene klingt. Ich suche nach einer neuen Arbeit, aber ich habe keine Fürsprecher, die sich für mich einsetzen, ich muss mir selbst helfen. Es gibt kein Geld für Benzin im Motorrad, deshalb fahre ich wie ein Neger in der Sonne auf einem geliehenen Fahrrad, um Waren zu kaufen: Mehl, Reis, Limonade, Seife, Speiseöl, Kleinigkeiten wie Süßigkeiten, Kugelschreiber, Glühbirnen, Toilettenpapier und Batterien. Und ich muss Hühnerfutter beschaffen und mich um die Vögel kümmern, damit sie groß sind, wenn sie geschlachtet werden. Und wenn es Abend wird und ordentliche Menschen schlafen gehen, habe ich meine Kopieraufträge von Kassetten zu erledigen. Ich nicke im Stuhl ein, aber mein hungriges Baby ist eine Alarmglocke – wenn sie aufwacht und saugen will, dann weiß ich, dass ich das Band umdrehen muss, um an mein Kleingeld zu kommen. Ich versuche alles. Das größte Problem ist selbstverständlich die alte Musik, die bei mir läuft – kein Zugang zu den neuesten Klängen. Mein Gesicht sieht grässlich aus, übermüdet wie bei einem hundertjährigen Arbeiter aus den Kohleminen. Und das Geld reicht nicht. Wie sollen die Leute von meinem Kopierbetrieb erfahren, wenn sich der Laden in einem gewöhnlichen Haus außerhalb der Innenstadt versteckt, noch dazu ohne Schild? Diejenigen, die ich kenne, sind bereits meine Kunden gewesen, und für alle anderen bin ich ein totales Geheimnis.
    Ich muss die Chance mit der alten Larsson-Stereoanlage ergreifen. Ich sage es allen: »Ich kann bei euren Feiern spielen, ich kann auch die Party in den feinsten Farbfotos fotografieren, damit ihr eine hübsche Erinnerung an den Tag habt.« Ich fahre mit der Stereoanlage im Taxi zu kleineren Geburtstagen in der Stadt, und endlich, eines Tages: ein Geburtstagsabendessen im Moshi Hotel.

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