Liberty: Roman
das Geld für eine neue Bluse fehlen würde. Dann kommt Bob aus den Lautsprechern. Ich verlasse die Bar, stehe am Rand der Tanzfläche und lasse ihn in mich fließen. Schließe die Augen halb, damit ich die weißen Menschen nicht sehen muss. Tanze. Jemand kommt auf mich zu.
»Sag mal, wie tanzt du denn?«, sagt Anders, fasst mich an die Schultern und lacht. Ich schaue mir die Weißen an, einige von ihnen starren mich an. Marianne kommt zu uns.
»Hej«, sagt sie.
»Hast du das gesehen? Christian tanzt wie so ’n beschissener Neger.«
»Ach, weit davon entfernt«, gebe ich zur Antwort.
»Ich finde, du tanzt gut«, sagt Marianne. Ich kommentiere es nicht. »Wollen wir tanzen?«, fragt sie.
»Okay.«
Am Montag gehen wir mittags zu ihr nach Hause. Ihre Eltern arbeiten. Sie fragt nach Afrika. Ich rede über eine Steinzeit-Gesellschaft, die aufgrund der schwierig zu überwindenden Geografie ohne Kontakt zu ihrer Umwelt geblieben ist. Sämtliche Energie ist wegen des harten Klimas in den Kampf ums Überleben geflossen. Die Krankheiten. Der magere Boden. Keine Schriftkultur. Sklavenhandel und Kolonialisierung. Der Versuch, Afrika zweitausend Jahre in der Zeit voranzubringen, hat zu einer inhomogenen Gesellschaft mit Stammesnepotismus und Korruption geführt. Viel zu wenig Ausgebildete, keine stabilen staatlichen Institutionen. Dem Kontinent fehlt eine Zeit der Aufklärung, eine Hochschulbewegung, eine politische Reformation. In Tansania hatten sie eine Genossenschaftsbewegung, aber sie wurde durch von oben gesteuerten afrikanischen Sozialismus, Zentralismus und Planwirtschaft ruiniert. Die Subventionen der EU für Europas Bauern sind gekoppelt an hohe Zollbarrieren für afrikanische Produkte.
»Alles, was Afrika billiger produzieren kann als wir, wollen wir ihnen nicht abkaufen«, sage ich. »Reis, Mais, Baumwolle, Zucker.« Der Klang der Stimme meines Vaters hallt in meinem Kopf; der Klang von Whisky – aber das ist ja auch nur Gerede.
»Ich möchte dein Zimmer sehen«, sage ich.
»Wieso?«
»Einfach so«, entgegne ich und gehe die Treppe hinauf. Das Bett ist gemacht. Ich lege mich drauf. Sie steht in der Tür. Ich strecke die Hand aus. Sie bleibt stehen. »Komm«, sage ich. Sie kommt. Sie ist … bleich. Seltsam weiß. Wir streicheln uns. Nach und nach werden wir nackter. Ich schließe die Augen und denke an Samantha, während ich in sie eindringe. Wir gehen unten ins Bad, weil ich Lust habe, einen Kaffee zu trinken.
Sie beginnt, mich über Afrika auszufragen. Sie würde nach der Schule gern für die UNO in Afrika arbeiten.
»Es ist einfach so ungerecht. Ich meine … wir haben alles, und wir wollen einfach nicht helfen, obwohl sie an Hunger sterben«, sagt Marianne. Ich lache. »Warum lachst du?«, will sie wissen.
»Was willst du? Dass ich heule?«
»Es ist nur so … unnatürlich. Dass du lachst.« Ich lache noch mehr.
»Wirkt das irgendwie krank?«, frage ich sie. Marianne sieht mich an.
»Ja«, antwortet sie. Ich denke an das dröhnende Lachen bei den Huren über dem Fahrradladen.
»Das ist in Afrika so üblich. Man lacht das Schicksal aus, damit es einen nicht erdrückt.«
»Aber du bist kein Afrikaner.«
»Ich bin nicht so weiß, wie ich aussehe.«
Ich bin den ganzen Winter mit Marianne zusammen. Ich lerne, ihr nach dem Mund zu reden, damit ich ihr an die Wäsche kann. Es wird Frühjahr. Sie muss für ihr Examen lernen. Ich telefoniere mit Vater. Er will Geld schicken, damit ich mir ein Flugticket nach Daressalaam kaufen kann. Marianne prüft die Möglichkeit, als Au-pair nach England zu gehen – um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und für Afrika zu sparen.
»Gehst du auch wieder dorthin, wenn du mit der Schule fertig bist?«, fragt sie mich. Eigentlich will sie sagen: Gehen wir zusammen nach Afrika, wenn ich in England gewesen bin? Aber ich will sie nicht im Schlepptau haben, ich möchte Samantha sehen.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich will einfach hin, um meine Freunde zu besuchen. Aber bei dir ist das was ganz anderes.«
»Willst du darüber bestimmen, ob ich nach Afrika gehe?«
»Nein, nein. Es ist dein Leben. Aber ich will Afrika nicht retten, denn das ist unmöglich.«
»Man kann es zumindest versuchen.«
»Nein, kannst du nicht. Du kannst dafür sorgen, dass du dich einigermaßen wohlfühlst mit deinem Schuldgefühl, weiß zu sein.«
»Wenn alle so wären wie du, dann wäre die Welt wirklich ein hässlicher Ort«, sagt Marianne zu mir.
»Haben die Afrikaner
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