Liberty: Roman
spielen? Parallel dazu könnte Marcus meine Platten auf Kassetten überspielen. Aber Marcus hat auch Claire, die Kleine und den Kiosk – vielleicht muss ich jemand anderen finden, der mir helfen kann.
»Hast du aus Schweden Süßigkeiten mitgebracht?«, fragt Rebekka, als sie mich sieht.
»Nein.« Als Solja aus der Schule zurück ist, kommt sie zu mir in die Dienstbotenwohnung.
»Hier ist ein Brief für dich«, sagt sie und reicht ihn mir.
»Wann ist der gekommen?« Er ist von Anders, meine Sozialhilfe gewechselt in Travellerschecks, abzüglich seiner Vermittlungsgebühr – der Betrug funktioniert.
»Hast du ’ne Prince für mich?«
»Du kannst eine ganze Schachtel haben.« Ich gebe ihr die Zigaretten. Sie ist sehr hübsch geworden. Solja steckt das Päckchen in die Tasche und zieht das T-Shirt herunter, damit man die Ausbuchtung nicht sehen kann.
»Danke.« Sie dreht sich um und geht. Ich stehe auf meinen eigenen Beinen. Ich habe eine Tasche voller Langspielplatten und Kassetten sowie einen Luxman-Verstärker und einen Bausatz für die Lautsprecher. Ich habe meine große Ausrüstung, die versandbereit in Dänemark steht. Zeit, das Terrain zu sondieren.
Marcus
GEHEN WIE DIE ZIEGEN
Das Narbengewebe des zerstörten Fleischs juckt wie ein Ameisenhaufen in meinem Fuß und in der Wade. Aber ich gehe den ganzen Weg zu Katriinas Haus zu Fuß, denn Christian ist gekommen.
»Nanu, ich habe gar kein Motorrad gehört«, sagt Christian.
»Das Motorrad ist weg.«
»Geklaut?«
»Nein, ich hab’s verkauft«, sage ich.
»Scheiße, aber wieso denn?«
»Um Geld fürs Essen zu haben.«
»Du hättest dir doch nur was leihen müssen.«
»Von wem?«
»Von mir.«
»Du warst nicht da«, sage ich.
»Wir müssen also gehen, wenn wir irgendwo hinwollen?«
»Wie die Ziegen«, sage ich.
»Solja sagt, du hast einen Kassetten-Kopierladen eröffnet.«
»Ja, gleich neben der Stereo Bar.«
»Stehen meine Platten nachts auch da drin?«
»Nein, ich schleppe jeden Tag alles mit nach Hause«, lüge ich, denn tatsächlich habe ich das heute zum ersten Mal gemacht, als Solja mir erzählte, dass Christian gekommen ist. »Hast du die Ausrüstung mitgebracht?«
»Einen guten Verstärker und kräftige Lautsprecher – allerdings müssen die Rahmen noch gebaut werden.« Er zeigt mir die Sachen und gibt mir eine Zeichnung. Meine Aufgabe ist es, für einen Tischler der Imara Möbelfabrik zu sorgen, der die Lautsprecherkästen baut, und einen elektronischen Mann, der die Kabel verlegt. Hinter der Pappe der Lautsprecher soll die Kiste mit Kapok ausgestopft werden, wie ein Sofakissen.
»Ja«, sagt Christian. Es ist gut, dass er gekommen ist, denn das Kopiergeschäft hat ein bisschen nachgelassen. Alle Schüler mit Geld haben die Musik gekauft, die ich anbiete.
»Wann fliegst du zurück?«, frage ich ihn.
»Zurückfliegen?«
»Ja, zurück nach Dänemark.«
»Ich bleibe hier.«
»Aber ist deine dänische Schule nicht erst in einem halben Jahr zu Ende?«
»Ich habe die Schule geschmissen.«
»Und was willst du jetzt machen?«
»Hier leben. Ich glaube, meine dänische Freundin kommt auch vorbei. Sie kann singen. Ich würde gern eine richtige Band gründen.«
»Aber die Schule ist wichtig«, sage ich.
»Die Schule kann warten«, sagt Christian. Ich hatte mir gedacht, die Musik und die Ausrüstung zu nutzen und bis zum nächsten Sommer Geld zu verdienen. Und parallel dazu kann Christian möglicherweise noch weitere Ausrüstungsteile besorgen, die groß genug sind, um das Liberty oder das Moshi Hotel zu bespielen.
»Aber wenn du mit der Schule wartest, wirst du vielleicht nie damit fertig.«
»Du klingst wie mein abgefuckter Vater«, sagt Christian. Ich halte den Mund. Die Weißen können alles haben, was sie wollen – und wissen es doch nicht zu würdigen. Ich folge jetzt Christians Gedankengang: Er will eine Band gründen, die in Arusha spielen kann, mit einem weißen Mädchen als Attraktion. Er will nicht nach Dänemark zurück, sondern in Tansania bleiben und Geld verdienen. Soll ich seine Gedanken bremsen, wenn sie auch meine Situation verbessern können?
»Du hast gesagt, du würdest einen Gitarristen kennen«, sagt er.
»Ja.«
»Kannst du ein Treffen mit ihm organisieren?«
»Morgen«, antworte ich.
»Morgen …«, sagt Christian. »Vielleicht muss ich nach Dar, um mich mit meinem Vater zu treffen. Aber lass uns ein Bier trinken gehen.«
»Können wir nicht warten, bis Katriina mit den Mädchen zurückkommt?«
Ich
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